Gold

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„Schi-So, lässt du mich an deinen Gedanken teilhaben?"

Anáá' schaute ihren Mann an, der vor ihrem Hogan saß und mit einem Stöckchen Zeichen in den Sand malte.

„Ach, Anáá', etwas fehlt in meinem Leben. Ich habe die beste Ehefrau der Welt, eine reizende Tochter, eine liebende Familie und wir sind alle gesund und zufrieden. Und trotzdem habe ich das Gefühl der Leere in mir. Ich habe schon meditiert und die Schwitzhütte aufgesucht, doch bis jetzt noch keinen Erfolg erzielt."

„Hast du schon einmal mit deiner Mutter darüber gesprochen? Sie kennt dich besser als jeder andere. Vielleicht kann sie dir helfen? Und wenn ich irgendetwas für dich tun kann, dann lass es mich wissen! Ich würde alles für dich tun."

Dankbar drückte Schi-So die Hand seiner Frau.

„Ich werde mit Mama reden, wenn ich sie finde."

Schi-So blickte zum Lieblingsplatz Gidis hinauf, einem Felsen, der hoch über dem Dorf lag und eine wunderbare Aussicht auf den See bot. Doch der Platz war leer.

„Weißt du, wo sie sein könnte, Anáá'?"

„Nein, ich habe keine Ahnung. Sie könnte überall sein, am besten wartest du bis zum Sonnenuntergang. Dann triffst du sie vor ihrem Hogan an."

Tatsächlich saß das Häuptlingspaar gegen Abend vor seiner Behausung und unterhielt sich. Als Gidi Schi-So auf sich zukommen sah, lächelte sie und klopfte neben sich auf den Boden.

„Komm her, Schi-So, und setz dich zu uns!"

Eine Weile plauderten Mutter und Sohn über belanglose Dinge, während Nitsas-Ini sich mit seinem Kalumet beschäftigte. Dann fragte die Deutsche:

„Schi-So, du kommst doch nicht zufällig hier vorbei. Was hast du auf dem Herzen?"

„Ach, Mama, ich fühle mich seit einiger Zeit innerlich leer, obwohl ich alles habe, was man sich nur wünschen kann."

„Schi-So, dir fehlt eine Aufgabe. Dein Geist wird träge. Ich spüre deine Unruhe schon seit längerem und habe dich beobachtet. Deine Tage sind zwar ausgefüllt, aber dein Leben fordert dich nicht mehr."

Der blonde Indianer versank in Schweigen. Hatte seine Mutter Recht? Und wenn ja, welche Aufgabe sollte er übernehmen?

„Was soll ich tun? Ich möchte auf keinen Fall wieder ein Geschäft führen. Ich könnte lehren, doch die Schule der Kinder hier läuft sehr gut und die Lehrer brauchen meine Hilfe nicht. Ich möchte mein Leben nicht als Hirte oder Feldarbeiter verbringen. Ich helfe gern bei der Arbeit und du hast Recht, mein Geist braucht eine Aufgabe, nicht mein Körper."

„Oh, ich wüsste schon die eine oder andere Aufgabe für dich, aber darauf musst du schon selbst kommen."

„Papa, was meinst du?"

„Geh den Weg der Diné, mein Sohn!"

Schi-So wirkte weiterhin ratlos. Eine Weile saß er noch mit seinen Eltern zusammen, doch dann verabschiedete er sich. Er musste mit seiner Frau reden.

Die Nacht hatte schon ihr schwarzes Tuch über das Dorf gebreitet, als Schi-So seinen Hogan erreichte. Anáá' und ihre gemeinsame Tochter Níyol saßen vor demselben an einem kleinen Feuer und warteten auf ihn. Freudig streckte die Dreijährige ihre Arme nach dem Vater aus und ließ sich von ihm auf den Arm nehmen.

„Papa, wo warst du?", fragte sie neugierig.

„Ach, meine Süße, du bist wie deine Großmutter. Du willst immer alles wissen. Neugier ist keine Tugend der Diné."

„Neugier ist gesund, sagt Oma."

Schi-So seufzte. Níyol erinnerte ihn nur allzu genau an seine eigene Neugier und an sein Bestreben Wissen zu erlangen.

Nitsas-IniWo Geschichten leben. Entdecke jetzt