Neue Nachbarn

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Gidi, die wie gewohnt, vor ihrem Hogan saß, beobachtete, wie Bee Sid und Nitsas-Ini beieinanderstanden und lebhaft zu diskutieren schienen. Dann winkten die beiden einen Knaben herbei und gaben ihm einen Auftrag.

Nun kam der Häuptling zu ihr, um sie zu informieren:

„Gidi, wir haben die Nachricht bekommen, dass Weiße eine Siedlung an unserem heiligen Berg Dook'o'oslííd bauen möchten. Ich habe den Rat der Ältesten einberufen, denn niemand darf diesen Berg entweihen."

„Wo liegt dieser? Ich habe noch nie etwas von ihm gehört."

„Ich schätze, es sind rund zweihundert Meilen durch unwegsames Gelände bis dorthin. Er begrenzt unser Gebiet im Westen, wurde von dem Ersten Mann und der Ersten Frau geschaffen und mit einem Sonnenstrahl am Himmel befestigt."

„Schau, der Rat begibt sich zum Beratungshogan! Ich hoffe, ihr findet eine friedliche Lösung."

Nitsas-Ini stieg hinunter zum Dorfplatz und begab sich zusammen mit seinem Stellvertreter Bee Sid in besagten Hogan. Von ihrem Platz aus hatte Gidi eine gute Sicht auf die Dorfmitte. Sie setzte sich in eine bequeme Position und wartete ab. Eine Beratung konnte Minuten, Stunden oder auch Tage dauern. Sie musste ihre Neugier bezähmen und hoffte, dass die Männer und Frauen zu einem schnellen Ergebnis kamen.

Leider sah es nicht danach aus. Die Sonne neigte sich dem Horizont entgegen und färbte das Land und die Berge in ihr goldenes Licht. Langsam wechselten die Farben von Gold nach Rot und Orange, und dann begann es zu dämmern. Der Himmel verdunkelte sich, wurde tiefblau und die ersten Sterne wurden sichtbar.

Noch immer tagte der Rat und Gidi hatte ihren Beobachtungsposten aufgegeben. Langsam stieg sie den Hügel zum Hogan ihres Sohnes hinauf, der mit seiner Frau vor demselben saß und speiste.

„Mama, komm her und setz dich zu uns!"

Schi-So winkte seiner Mutter zu und rückte etwas zur Seite, damit sie sich niederlassen konnte. Anáá' reichte ihr eine Schale mit Bohneneintopf und einen Maisfladen.

Nachdem alle gesättigt, die Schalen gereinigt und das Kalumet entzündet war, kam Gidi dazu, ihre Frage zu stellen.

„Schi-So, was kannst du mir von Dook'o'oslííd erzählen?"

„Möchtest du die Mythen über den Berg hören oder etwas zu seiner Lage und Beschaffenheit?"

„Ich weiß nicht, was ich wissen möchte. Es scheint so, als würden sich Weiße in seiner Nähe niederlassen. Zurzeit tagen die Ältesten, um zu entscheiden, was zu tun ist."

„Dook'o'oslííd gehört zu unseren heiligen Bergen und begrenzt unser Land im Westen. Erster Mann und Erste Frau haben ihn erschaffen und er ist ein wichtiger Bestandteil unserer Lebensweise. Entstanden ist der Höhenzug, denn es ist kein einzelner Berg, durch Vulkanismus. Die Bergspitzen sind kegelförmig und schwer zu erklimmen, da es an einigen Stellen eine nur sehr dünne Erdschicht gibt, die brechen kann. Durch verschiedene Lavaströme ist der Berg unterhöhlt und es gehört eine genaue Kenntnis der Beschaffenheit dazu, ihn zu besteigen. Aber auch die Umgebung birgt Risiken. Der Boden aus erstarrter Lava ist brüchig und voller tückischer Spalten. Trotzdem gibt es in dem Gebiet auch sehr fruchtbaren Boden. Ich kann mir gut vorstellen, dass sich Menschen dort ansiedeln."

„Gut, dass wir dich haben lernen lassen, Schi-So. Dein Vater hat mir nur den Mythos erzählt. Er wird großen Respekt vor allem haben, was dort geschieht und vielleicht unüberlegt handeln, wenn er den Berg bedroht sieht. Du kannst ihm vielleicht nahebringen, was dort wirklich passiert ist."

„Mama, beides ist dort wirklich passiert! Die Wissenschaft schließt den Mythos nicht aus. Auch ich habe große Ehrfurcht vor unseren heiligen Bergen und dem Beginn allen Lebens durch den Erschaffer."

Nitsas-IniWo Geschichten leben. Entdecke jetzt