Adolf wird erwachsen

12 3 29
                                    

Adolf Wolf war auf dem Weg zum Dorf der Diné, um seinen Blutsbruder Schi-So zu treffen. Während er langsam am Flussufer des Wheatfield Creek entlangritt, dachte er darüber nach, was in den letzten zwei Jahren passiert war.

Er war mit Schi-So aus Deutschland nach Amerika gereist um in das Holzgeschäft seines Onkels Martin Wolf einzusteigen. Wolf hatte sich mit den Diné zusammengeschlossen, die in ihrem Territorium über eine Vielzahl von Wäldern verfügten. Schi-So, der junge Häuptlingssohn, hatte die Forstwirtschaft der Diné übernommen und arbeitete nun eng mit Adolf zusammen...

Plötzlich schreckte der junge Mann auf. Er hatte mittlerweile den See erreicht und bemerkte einen Gegenstand, der langsam auf den Fluss zutrieb. Bei genauer Betrachtung erkannte er ein Wiegebrett, in dem ein Kleinkind lag. Etwa zehn Meter hinter dem Brett schwamm ein Kind und versuchte es zu erreichen.

Adolf erfasste die Situation schnell. Hatte das Wiegebrett den Abfluss erreicht, konnte es für das Kind darin gefährlich werden. Der Wheatfield Creek war voller Stromschnellen und eine Rettung wurde weitaus schwieriger. Beherzt sprang Adolf vom Pferd und stürzte sich in die Fluten.

Mit kräftigen Schwimmstößen durchquerte er den See, bis er das Brett erreichte. Um dieses aus dem Wasser zu ziehen, musste er nun all seine Kräfte aufwenden, denn der Sog zum Creek wurde immer stärker. Während er versuchte, das Ufer wieder zu erreichen, fiel sein Blick auf das Kind, welches auch versucht hatte, das Wiegebrett zu erreichen.

Es war ein vielleicht vierjähriger Knabe, der am Ende seiner Kräfte zu sein schien. Blitzschnell überlegte Adolf. Er konnte nicht beide Kinder zusammen zum Ufer bringen. Er schaffte es kaum, das Brett zu halten und mit nur einem Arm zum Ufer zu schwimmen. Hilflos musste er mit ansehen, wie der Junge von der Strömung erfasst wurde und den Fluss hinuntertrieb.

Er schaffte es, das Wiegebrett zum Ufer und somit in Sicherheit zu bringen. Das Kind schien unversehrt, sodass er es liegen ließ und sich auf sein Pferd schwang. Im halsbrecherischen Tempo jagte Adolf nun am Flussufer entlang und hielt nach dem Körper des Jungen Ausschau. Dann erblickte er denselben. Immer wieder wurde der Junge in die Tiefe gerissen, um einige Meter weiter erneut an die Oberfläche zu kommen. Adolf versuchte den Knaben zu überholen. Viel Zeit blieb ihm nicht, denn schon bald würde der Uferweg weit zurückweichen und ein Sprung ins Wasser unmöglich werden.

Voller Verzweiflung schlüpfte der junge Mann aus den Steigbügeln und sprang vom galoppierenden Pferd in die Fluten des Creeks. Er versuchte sich zu orientieren und war erleichtert, als er das Kind knapp vor sich sah. Er schaffte es, den Jungen am Arm zu fassen und zu sich zu ziehen. Doch jetzt erfasste sie die Strömung und riss sie mit sich. Adolf versuchte, den Kopf des Knaben über Wasser zu halten, während er selbst immer wieder unterging. Mittlerweile war das Ufer felsig und steil geworden. Erst weiter unten würde das Wasser ruhiger werden. So lange musste der Deutsche durchhalten.

Es kam ihm wie eine halbe Ewigkeit vor, bis der Fluss seichter und ruhiger wurde. Mit letzter Kraft schleppte er sich und den Jungen ans Ufer. Hastig untersuchte er diesen und stellte erleichtert fest, dass er zwar bewusstlos, aber am Leben war.

Adolf holte tief Luft und entspannte sich. Unkontrolliert fing er an zu zittern und stützte erschöpft den Kopf in seine Hände. Langsam ließ dieser Anfall wieder nach und er konnte einen klaren Gedanken fassen.

Noch einmal untersuchte er den Knaben, der jetzt langsam wieder zu sich kam und ihn mit großen Augen anschaute.

„She'ashkii?"

Adolf konnte nur raten, was der Junge meinte. Er verstand die Worte des Diné nicht.

„Es ist alles in Ordnung, dem Baby geht es gut."

Nitsas-IniWo Geschichten leben. Entdecke jetzt