Verschüttet

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Gidi und ihre Freundin Káalógii hatten beschlossen, zusammen zum Kräutersammeln in die Berge jenseits des Wheatfield Lake, an dem das Dorf der Diné lag, zu reiten. Die Medizinfrau wusste dort eine Stelle, an der ganz besondere Flechten wuchsen, die sie für die Herstellung von Hustensaft brauchte.

Jedes Jahr im Herbst machte sich Káalógii allein auf den beschwerlichen Weg, doch in diesem Jahr wollte ihre Freundin sie begleiten. Die Stelle war nicht allzu weit vom Dorf entfernt, sodass die Frauen keines männlichen Schutzes bedurften. Sie wollten drei Tage in den Bergen umherwandern, um die Flechten und andere Kräuter zu sammeln. Darum nahmen sie ein Packpferd mit, welches neben ihren Decken und Sammelkörben auch einige Nahrungsmittel zu tragen hatte. Káalógii kannte einen guten Platz in der Nähe einer kleinen Quelle. Dort wollten die Frauen ihr Lager aufschlagen.

Freudig erregt traf Gidi sich am frühen Morgen mit der Medizinfrau, sie bereiteten ihre Pferde für den Ritt vor und verließen schwatzend das Dorf. In gemütlichem Schritt zockelten die Mustangs vor sich hin, während die Frauen sich über Persönliches unterhielten.

Gidi war noch nicht oft jenseits des Sees gewesen und erfreute sich an der unbekannten Natur. Auch hier bestanden die Felsen meist aus dem typischen roten Sandgestein, den die Weißen painted desert nannten. Die Felsformationen begeisterten die Weiße und sie fragte sich, warum sie nicht schon öfter in dieser Gegend gewesen war.

Der Lagerplatz war schnell erreicht und die Frauen richteten sich im Schatten einer Fichte ihre Schlafplätze ein. Die Pferde wurden angehobbelt, damit sie das Grasstück, welches um die Quelle wuchs, nicht so schnell verlassen konnten. Dann nahmen die beiden Frauen ihre Körbe und Káalógii zeigte Gidi, welche Art von Flechten sie suchen musste.

Gidi kletterte voller Elan durch die Felsen. Sie sollte nach feuchten Erdhöhlen Ausschau halten die ein bevorzugter Ort für die Halsflechte, wie Káalógii sie nannte, waren. Da Gidi die Gewohnheiten der Diné kannte, wusste, dass sie nicht sinnlos irgendwelches Unkraut pflücken durfte, holte sie ihre Freundin herbei, als sie eine kleine Höhle fand, die von einem Überhang verborgen war.

Káalógii prüfte die Stelle und fand tatsächlich die begehrte Pflanze. Sie nahm eine Schale, mischte Holzspäne mit einigen Krümeln aus ihrem Beutel, zündete diese an und wedelte den Rauch in die Höhle. Sollten irgendwelche Tiere dort wohnen, würden diese vor dem Rauch flüchten. Tatsächlich kamen einige Spinnen und ein Skorpion aus dem Loch gehuscht.

Nun konnte Gidi gefahrlos hineinkriechen, um die Flechte zu ernten. Der Eingang war eng, Gidi musste auf dem Bauch robben, um in die Höhle zu gelangen die sich hinter dem Eingang so weitete, dass Gidi ganz hineinpasste. Sie tastete sich an der Pflanze entlang um deren Wurzel zu finden, um den Strang knapp oberhalb derselben zu kappen.

Es war dunkel und schmutzig, Gidi konnte sich kaum bewegen und folgte mit der Hand den Ausläufern der Flechte. Noch war sie nicht bis zur Wurzel vorgedrungen. Sie musste sich noch weiter über den Boden winden. Endlich fühlte sie die Stelle, an der sie das Messer ansetzen musste.

Nachdem sie die Pflanze gekappt hatte, kroch sie rückwärts wieder ans Tageslicht. Káalógii lachte, als sie die verschmutzte Gidi erblickte, die triumphierend einen langen Flechtenstrang in ihrer Hand hielt.

„Gidi, du bist wirklich eine echte Diné geworden", rief die Medizinfrau stolz.

Dann führten beide zusammen das Ritual der Danksagung durch. Gidi rieb sich mit der lehmbeschmutzen Hand über die Stirn und sah nun aus wie ein Indianer auf dem Kriegspfad.

Die Frauen suchten die Quelle auf und Gidi säuberte sich notdürftig. Káalógii zeigte ihr, wie man die einzelnen Blätter abzupfte. Sie trennte das Grün vom Stängel und bewahrte beides in verschiedenen Beuteln auf. So verging der Nachmittag und am Abend bereiteten sich die Frauen ein einfaches Nachtmahl zu. Sie hatten sich viel zu erzählen, lachten oft und fantasierten darüber, wie die Zukunft wohl aussah.

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