Der Wettkampf

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Am nächsten Morgen begrüßten Vater und Sohn gemeinsam die Sonne. Dann ergriff Nitsas-Ini sein Gewehr. Zusammen mit Schi-So suchte er einen Platz abseits des Dorfes auf. Der Häuptling zeigte dem jungen Mann, wie er die Winchester zu laden und zu entsichern hatte. Nachdem Schi-So diesen Vorgang mehrmals durchgeführt hatte, war der Vater zufrieden.

„Wie es geht, hast du begriffen. Du hast dreizehn Schuss, bevor du nachladen musst. Jetzt legst du den Schaft an die Schulter, die rechte Hand an den Abzug, mit der linken stützt du das Gewehr. Das Zielen üben wir später, jetzt schieße erst einmal, um ein Gefühl zu bekommen. Und achte auf den Rückschlag!"

Schi-So tat, wie der Vater ihm erklärt hat und zog den Abzug durch. Der Rückschlag war nicht ganz so stark, wie der junge Mann es erwartet hatte und er setzte zum nächsten Schuss an. Im Moment schoss er nur Löcher in die Luft, doch schon bald sollte er auf ein bestimmtes Ziel anlegen. Das Gewehr lag schwer in der Hand, wog bestimmt vier Kilogramm. Bald fing Schi-Sos Arm an zu zittern und Nitsas-Ini gebot ihm das Gewehr abzusetzen.

Sie machten gemeinsam Lockerungsübungen und der Häuptling gab seinem Sohn noch ein paar Ratschläge. Überrascht stellte Schi-So fest, dass der Vater ein guter Lehrer war.

Bald schon mussten sie ihre Übungen beenden, denn der nächste Wettbewerb würde in kürzester Zeit starten. Am heutigen Tag fand der Schießwettbewerb statt. Die Diné hatten flache Steine gesammelt, die nun in die Luft geworfen wurden. Die Teilnehmer mussten diese Steine treffen. Diesmal gewann ein junger Krieger, der nur unwesentlich älter war als der Häuptlingssohn.

Jeden Morgen übten Nitsas-Ini und Schi-So das Schießen. Dann schauten sie den Wettbewerben zu. Am Tag nach dem Schießen waren die Reitkünste der Dine gefragt. Die Teilnehmer ritten auf einen Speer, die im Boden verankert war, zu, umrundeten diese und sollten sich auf dem Rückweg mal an die rechte, mal an die linke Seite des Pferdes hängen. Am Tag darauf mussten die Krieger ihre Speere werfen. Beim Bogenschießen wurden wieder flache Steine in die Luft geworfen und am letzten Tag ging es darum, mit dem Tomahawk ein unbewegliches Ziel in weiter Entfernung zu treffen.

Und dann war der Tag gekommen, an dem Schi-So sich den Gewinnern stellen musste.

Fünf Krieger würden gegen ihn antreten. Die fünf waren die Besten in ihrer Disziplin und jeder würde alles geben, um den Häuptlingssohn zu besiegen.

Man begann mit dem Schwimmwettbewerb, der am kräftezehrendsten war. Schi-So lockerte seine Arme und Beine auf und entkleidete sich. Seine Muskeln, die bis dahin unter einem Hemd verborgen waren, wirkten ansehnlich. Sein schlanker Körper sah gegen die kleine gedrungene Gestalt seines Gegners beeindruckend aus und so manches Mädchen im heiratsfähigen Alter leckte sich die Lippen.

Bee Sid gab das Startzeichen und die Männer sprangen in den See. Schi-So war während seiner Zeit in Deutschland jeden Morgen schwimmen gewesen und schoss wie ein Pfeil über den See. Sein Gegner aber konnte gut mithalten, war bald mit ihm gleichauf und überholte ihn auf dem Rückweg. Schi-So gab noch einmal alles, kraftvoll furchten seine Arme durchs Wasser. Es waren nur noch wenige Meter bis zum Ufer, als der Häuptlingssohn wieder die Führung übernahm und eine Armeslänge vor seinem Gegner den Rand des Sees erreichte. Die Diné jubelten. Die beiden hatten ihnen einen spannenden Kampf geliefert und die Stimmung war prächtig.

Man gab Schi-So nun die Gelegenheit, sich ein wenig auszuruhen.

Dann traf man sich zum Schießwettbewerb auf der Hochebene. Die beiden Gegner waren im gleichen Alter und kannten sich schon ein Leben lang. Sie nickten sich zu und nahmen ihre Gewehre. Das Los entschied, dass Schi-So beginnen sollte. Jungkrieger warfen abwechselnd Steine in die Luft und der blonde Jüngling versuchte, diese zu treffen. Die Zuschauer erkannten schnell, dass der Häuptlingssohn den Umgang mit dem Gewehr nicht gewohnt war. Er traf gerade einmal drei der zehn Steine und räumte dann das Feld. Nun nahm sein Widersacher routiniert die Schusswaffe zur Hand und traf alle zehn Steine. Doch bevor die Diné dem Sieger zujubeln wollten, hob dieser die Hand. Stille trat ein.

Nitsas-IniWo Geschichten leben. Entdecke jetzt