MISSVERSTÄNDNISSE

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Die Übeltäter waren gefasst und abgeführt und das Zimmer, in dem Gitti untergebracht worden war, leerte sich. Nitsas-Ini war der Letzte, der den Raum verlassen wollte. An der Tür drehte er sich noch einmal um und blickte auf Gidi, die wie ein Häufchen Elend - bleich und um Beherrschung ringend - auf dem Bett saß.

„Nitsas-Ini wird Káalógii bitten, die Nacht bei Gidi zu verbringen", sagte er in ungewohnt sanftem Ton zu der jungen Frau. Gitti quälte sich ein Lächeln ab. Sprechen konnte sie nicht, da sie sonst in Tränen ausgebrochen wäre.

Kurze Zeit später trat Káalógii in den Raum. Sie setzte sich neben Gitti auf das Bett und tat das einzig Richtige: Sie nahm die junge Weiße, die in den letzten Stunden so viel Tapferkeit bewiesen hatte, in den Arm und gab ihr durch die körperliche Nähe Wärme und Geborgenheit. Gittis Beherrschung bröckelte und sie klammerte sich verzweifelt an Káalógii. Dabei strömten Tränen über ihr bleiches Gesicht und sie erdrückte die Medizinfrau, die leise summte, beinahe.

Wie lange die beiden so dasaßen, wusste keiner so genau. Die Zeit war bedeutungslos geworden. Wichtig war nur, dass Gitti ihren Schmerz loswurde. Irgendwann beruhigte sie sich und ließ Káalógii los.

„Danke!", flüsterte sie. Die Medizinfrau stand auf, öffnete ihren Beutel und streute Kräuter in eine Schale. Diese zündete sie an und stellte sie Gitti ans Bett. Ein Geruch nach Weihrauch breitete sich im Zimmer aus.

„Gidi schlafen. Káalógii passt auf ", versicherte die Indianerin und setzte sich mit untergeschlagenen Beinen in die Mitte des Raumes. Gitti wollte noch etwas sagen, aber der Rauch machte sie müde. Ihr fielen die Augen zu und sie sank in einen tiefen Schlaf.

*

Gitti schnüffelte. Es roch nach Kaffee.

Kaffee? War es nicht Weihrauch gewesen?

Langsam öffnete sie die Augen. Káalógii stellte gerade ein Tablett mit Frühstück auf den Tisch. Gitti sah Brot, Rührei, Speck und eine Tasse mit dampfendem Kaffee. Schnell verschwand sie hinter dem provisorischen Paravent und beeilte sich bei der Morgentoilette.

Káalógii hatte ihr inzwischen einen indianischen Anzug bereitgelegt, den sie gern anzog. Als sie hinter dem Vorhang wieder hervorkam, war Káalógii verschwunden.

Gitti genoss das Frühstück. Sie trank gerade den letzten Schluck Kaffee, als Nitsas-Ini den Raum betrat.

„Nitsas-Ini reitet mit seinen Kriegern zurück in sein Dorf", informierte er sie.

Gitti sprang auf. „Nehmt mich bitte mit!"

„Gidi hat Nitsas-Ini sein Messer wiedergegeben", begann dieser.

„Was hat es nur mit diesem Messer auf sich?", unterbrach ihn die junge Frau. „Was ist so wichtig daran? Ich verstehe das nicht!"

„Wenn ein Krieger einer Squaw sein Messer überlässt, so bittet er sie mit dieser Handlung, in ihren Hogan einziehen zu dürfen."

Mit offenem Mund hörte Gitti dem Häuptling zu. In ihrem Kopf tauchten Bilder von jenem Tag auf, auf den Nitsas-Ini anspielte. Sie sah sich mit dem Indianer im Hogan sitzen. Beide hatten sich kaum eine Stunde gekannt, als er ihr sein Messer gegeben hatte.

„Und weiter?", fragte sie.

„Die Squaw behält das Messer, bis sie eine Entscheidung getroffen hat. Gibt sie dem Krieger das Messer wieder, lehnt sie das Angebot ab."

„Moment! Was sagst du da? ... Weil ich dich nicht waffenlos in der Gewalt der Soldaten lassen wollte, denkst du jetzt, ich würde dich ablehnen? Ich habe also meine Liebe zu dir deiner Sicherheit geopfert?"

Nitsas-IniWo Geschichten leben. Entdecke jetzt