AUSEINANDERSETZUNGEN

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Es war Mitternacht, als die Wehen begannen. Diesmal saß nicht nur Nitsas-Ini bei seiner Frau, sondern auch Schi-So. Er wollte unbedingt wissen, wie das Baby nun aus der Mutter kam und was dann damit passierte. Káalógii erklärte dem Jungen geduldig, was er zu sehen bekam und ließ ihn später die Nabelschnur durchtrennen. Er durfte auch das kleine gesunde Mädchen nach draußen bringen und ihm die Welt zeigen. Gerade in dem Moment, als Schi-So mit seiner Schwester den Hogan verließ, löste sich eine Sternschnuppe vom Himmel, und so bekam die Häuptlingstochter den Namen Sǫ' Ndaajeehí (Sternschnuppe).

Só Ndaajeehís Start ins Leben stand unter einem guten Stern. Nicht nur, dass in der Nacht noch hunderte von Sternschnuppen vom Himmel fielen (die Bleichgesichter nannten sie Lyriden), nein, am Morgen zog sich der Himmel zu und es fing an zu regnen. Dies war im April sehr selten und erfreute die Herzen der Diné.

Dank der guten Vorbereitung durch die Medizinfrau hatte Gidi genügend Milch, um ihre Tochter selbst zu stillen. Und sie genoss die Zweisamkeit mit Só Ndaajeehí. Auch Nitsas-Ini war im Umgang mit der Kleinen schon viel sicherer. Während sich bei Schi-So Gidi und Áhi tééh um alles gekümmert hatten, lernte der Häuptling bei seiner Tochter einiges dazu. Gidi zeigte ihm, wie er die Kleine zu baden und zu pucken, also fest einzuwickeln hatte, drückte sie ihm auch dann in die Arme, wenn sie schrie und ließ ihn auch mal mit ihr allein...

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Sǫ' Ndaajeehí war ein sehr lebhaftes Mädchen. Zum Leidwesen der ganzen Familie schien sie mit nur wenigen Stunden Schlaf auszukommen und wenn man sich dann nicht mit ihr beschäftigte, schrie sie sichtlich zornig. Selbst die sonst bewährte Methode, das Kind in ihren Travois (Tragegestell) zu legen und dieses in ein Gebüsch zu stellen, nützte nichts.

Sǫ' Ndaajeehí schrie einfach weiter. Jedes andere Baby hörte bei dieser Erziehungsmaßnahme schon nach kurzer Zeit mit dem Schreien auf und lernte so, sich ruhig zu verhalten. Nur die Häuptlingstochter verbrachte täglich mehrere Stunden im Gebüsch, bis sie vor Erschöpfung einschlief. Der Einzige, der die Geduld aufbrachte, sich stundenlang mit ihr zu unterhalten, war Schi-So. Er schleppte seine Schwester ständig mit und da er weiterhin lieber bei den Alten saß als mit Gleichaltrigen zu spielen, war das Geschwisterpaar schnell in allen Hogans zuhause.

Im Gegensatz zu ihrem Bruder hatte Sǫ' Ndaajeehí das rabenschwarze Haar des Vaters geerbt. Die nur zarte Tönung ihrer Haut und die grauen Augen aber verdankte sie ihrer Mutter.

Sobald Sǫ' Ndaajeehí sitzen konnte, wurde auch sie mit dem Pony Charley bekannt gemacht. Dies machte ihr sichtlich Spaß. Sie fand sehr schnell das Gleichgewicht auf dem Tier und versuchte später sogar, sich auf dessen Rücken zu stellen. Das quirlige Mädchen schien einen unerschöpflichen Vorrat an Energie zu besitzen, weigerte sich standhaft, sich am Nachmittag zur Ruhe zu legen und überraschte ihre Eltern mit immer neuen Spielideen oder sportlichen Aktivitäten.

Oft zog die Kleine mit ihrem Bruder durch das Dorf, doch interessierte sie sich nicht für Geschichten oder Erzählungen, sondern war bestrebt, jeden Hogan von innen zu untersuchen. Sie räumte liebend gern die Felle auseinander, um darunter vielleicht Spielzeug oder gar etwas Essbares zu finden.

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Diesmal war es Nitsas-Ini, der das Gespräch am Abend begann.

„Gidi, deine Aufgaben als meine Squaw sind sehr vielfältig geworden. Du musst nicht nur unseren Hogan reinhalten, dich um das Essen und die Kinder kümmern, sondern du lehrst die Diné Schreiben und Lesen, hast die Aufsicht über den Verkauf unserer Waren und musst jederzeit bereit sein, auch unsere zahlreichen Gäste zu betreuen, die mich und Łizhinii Bik'á', den Häuptling aller Diné, besuchen. Darum habe ich mir überlegt, eine weitere Squaw zu uns in den Hogan zu holen, die dich unterstützen kann."

Nitsas-IniWo Geschichten leben. Entdecke jetzt