Schi-Sos Kriegerprüfung

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Gidi war mehr als nur nervös. Vor einiger Zeit hatte sie ein Telegramm aus New Orleans bekommen. Schi-So hatte ihr telegrafiert, dass er amerikanischen Boden betreten hatte, um die Sommerpause bis zum Studium in seiner Heimat zu verbringen.

In ein oder zwei Tagen würde er mit der Postkutsche im Fort Defiance ankommen. Nitsas-Ini hatte sich am Morgen auf den Weg gemacht, um seinen Sohn dort abzuholen. Gidi hatte das selbst vorgeschlagen und ihrem Mann erklärt, dass sie Schi-So nicht in Verlegenheit bringen wollte und vor allem wollte sie, dass er seinen Sohn neu kennen lernen konnte.

Nitsas-Ini hatte zugehört aber nicht verstanden, was sie ihm damit sagen wollte. Er kannte seinen Sohn doch. Gut, er war ein paar Jahre in Deutschland gewesen, würde nun aber kommen, um seine Kriegerprüfung abzulegen. Das passende Alter hatte er dafür und der Häuptling hoffte, dass er auch die nötigen Fähigkeiten erlangt hatte.

*

Schi-So nutzte den Aufenthalt in der Poststation New Lake, um seine Kleidung zu wechseln. Er schälte sich aus seinem westlichen Anzug und legte den Lederanzug an. Die Hose war etwas zu kurz geworden und spannte an den kräftigen Oberschenkeln, wenn er sich setzte. Auch das Oberteil war sehr kurz und die Ärmel lagen eng an seinen muskulösen Oberarmen. Doch das konnte er jetzt nicht ändern. Um nichts in der Welt wollte er in seinem deutschen Anzug, mit weißem Hemd und Krawatte, im Fort ankommen.

Die nette Postfrau hatte eine Lösung. Sie machte die Lederhose ordentlich nass und befahl dem Knaben, diese anzuziehen. Bis Fort Defiance würde sie wieder trocken und passend sein. Dann nahm sie das Oberteil, zerschnitt es vorne in der Mitte und trennte die Ärmel ab. Jetzt war daraus eine Weste geworden, die der Junge gut tragen konnte.

*

Nitsas-Ini saß auf seinem Pferd, die Stute Schi-Sos als Handpferd neben sich, und wartete geduldig auf die Postkutsche. Er stand auf der Hochebene mit einem guten Blick auf das Fort und den Weg dorthin.

Als sich die Postkutsche dem Fort näherte, trieb der Häuptling sein Pferd an und ritt langsam den Berg hinunter. Er kam zeitgleich mit der Kutsche am Fort an und beobachtete, wie die Fahrgäste das Gefährt verließen. Schi-So, der in seinem indianischen Anzug und mit den strohblonden Haaren doch sehr auffällig aussah, erkannte er sofort.

Sein Sohn verabschiedete sich freundlich von seinen Mitreisenden und kam auf den Vater zu. Sie begrüßten sich mit einem knappen Nicken und der Junge sprang auf seinen Mustang. Beide ritten in einem schnellen Tempo den Berg hinauf auf die Hochebene, Richtung Heimat.

Schweigend trabten sie nebeneinander her bis Nitsas-Ini sein Pferd zügelte und absprang. Schi-So tat es ihm nach und schaute respektvoll zu Boden.

Nitsas-Ini fluchte in Gedanken. Sein Sohn, den er als elfjährigen Knaben in Erinnerung hatte, war mittlerweile ein junger Mann. Fast so groß wie er, schlank aber muskulös, mit fast nacktem Oberkörper und knapp sitzenden Hosen stand er vor ihm und wartete darauf, angesprochen zu werden.

Endlich entschloss sich Nitsas-Ini, etwas zu sagen, begann unsicher mit den Worten:

„Schi-So, mein Sohn."

Der junge Mann schaute auf.

„Papa?"

Hilflos streckte der Häuptling dem Sohn die Arme entgegen und dieser verstand die Aufforderung, kam auf ihn zu und umarmte den Vater.

Diese, dem Diné eigentlich untypische Begrüßung, hatten sie unbewusst von Gidi übernommen. Und beide genossen diese Nähe. Nitsas-Ini flüsterte dem Sohn ins Ohr:

„Deine Mutter wusste, wie schwer es für uns wird, sagte, wir brauchen Zeit, uns neu kennen zu lernen."

„Mama ist so schlau!"

Nitsas-IniWo Geschichten leben. Entdecke jetzt