Da'bai

11 3 22
                                    

Die Shoshonen hatten beschlossen, einige ihrer Jungkrieger und Mädchen für ein Jahr zu den Diné zu schicken, damit diese dort lesen, schreiben und die englische Sprache erlernen konnten. Drei Knaben und die Häuptlingstochter Daʼbai (Sonne) kamen eines Tages in das Dorf der Diné.

Ch'il, die mittlerweile den Unterricht leitete, hatte sich erboten, die Shoshone bei sich im Hogan einzuquartieren. Die Knaben waren noch jung, vielleicht zehn bis zwölf Jahre alt, und fügten sich schnell in ihr neues Leben ein. Doch die Häuptlingstochter zählte schon sechzehn Sommer, war ausgesprochen hübsch und zog die Blicke aller heiratsfähigen Diné auf sich.

Gidi hatte die Buhlerei der Krieger um die Schönheit mit einem kleinen Lächeln verfolgt, bis sie bemerkte, dass Da'bai nur Augen für Nitsas-Ini hatte. Und dieser schien tatsächlich nicht immun gegen die liebevollen Blicke, die die Shoshone auf ihn warf, zu sein.

*

Nitsas-Ini war verzweifelt. Als die Shoshonen ihre Kinder ins Dorf der Diné brachten, hatte er sich lange mit dessen Häuptling unterhalten. Sie hatten die Freundschaft zwischen ihren Stämmen noch einmal besiegelt und er hatte versprochen, gut für die Kinder zu sorgen. Die Jungen hatte er mit den Gleichaltrigen bekannt gemacht, die die Fremden sofort in ihrer Mitte aufnahmen.

Nun beschäftigte er sich näher mit Da'bai, die sein Herz schneller schlagen ließ. Er wusste nicht, was da mit ihm passierte. Bisher hatte er dieses Gefühl nur seiner Frau gegenüber verspürt und das verwirrte ihn. Da'bai aber genoss die Blicke, die ihr der Häuptling heimlich zuwarf und nutzte jede freie Zeit, um diese mit ihm zu verbringen.

„Nitsas-Ini, ich bin fremd hier. Mag der Häuptling mir ein wenig von seiner Heimat zeigen?", fragte sie eines Tages.

„Nitsas-Ini freut sich, der Tochter seines Freundes die Gegend näherzubringen. Er wird mit ihr einen Ausritt machen. Komm, wie gehen zu den Pferden."

Besorgt bemerkte Gidi, wie ihr Mann mit der Shoshone zwei Mustangs bestieg und davon ritt. Stundenlang waren die beiden unterwegs. In der Zwischenzeit saß die Häuptlingsfrau unbeweglich auf ihrem Lieblingsplatz, einem Felsbrocken, von dem aus sie das ganze Dorf überblicken konnte. Erst kurz vor der Dämmerung kamen das Paar wieder. Nitsas-Ini half der Indianerin vom Pferd, begleitete sie bis zum Hogan der Lehrerin und kam dann langsam hinauf zu seiner eigenen Hütte.

Gidi verließ ihren Platz und ging ihrem Mann entgegen. Sie schaute in seine Augen, suchte dort vergeblich nach dem Glanz, mit dem er sie sonst immer betrachtete. Nach einem einfachen Mahl setzten sich beide wie gewohnt vor ihren Hogan und besprachen den Tag.

„Da'bai ist eine dankbare Zuhörerin, sehr neugierig und möchte alles über die Diné wissen", berichtete Nitsas-Ini, den Blickkontakt mit seiner Frau meidend.

„Sie ist sehr hübsch und es wundert mich, dass sie noch keinen Ehemann hat", antwortete Gidi.

„Da'bai hat mir gestanden, dass ihr Herz noch frei sei. Keiner der Krieger hat es bis jetzt verstanden sie zu erobern. Sie ist nicht versprochen worden und hat als jüngste Tochter ihrer Familie die Freiheit selbst zu wählen."

„Wie schön für sie", murmelte Gidi in deutscher Sprache, die ihr Mann sehr wohl verstand, aber nicht kommentierte.

Beide hatten sich nichts mehr zu sagen und starrten vor sich hin, bis es Zeit war, ihr Lager aufzusuchen.

In dieser Nacht nahm der Häuptling seine Frau wie eine Fremde, verschwendete keine Zeit damit, ihr etwas Gutes zu tun und brachte sie nicht zum Höhepunkt. Gidi ließ es geschehen. Sie wusste, dass er an die andere dachte, aber seine Heftigkeit bewies ihr auch, dass er noch nicht der Schönheit der anderen erlegen war.

Nitsas-IniWo Geschichten leben. Entdecke jetzt