Ma'iitso

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Der Herbst hatte Einzug gehalten und mit ihm kamen die Wolkenbrüche und Gewitter. Gidi war jedes Mal fasziniert vom Wetter am Wheatfield Lake. Sie kam aus einer Gegend Deutschlands, in der es viel und andauernd regnete. Als Kind hatte sie manchmal tagelang keine Sonne gesehen, die Regenwolken hatten sich im Mittelgebirge des Sauerlandes festgesetzt und ließen es beständig Tag und Nacht regnen.

Erst in ihrer neuen Heimat bei den Diné im Norden Arizonas hatte sie den Regen schätzen gelernt. In den Sommermonaten gab es so gut wie keinen Niederschlag und oft versiegte der Zufluss vom See, bis im Herbst die kurzen, aber heftigen Regenschauer diesen wieder füllten.

Auch an diesem Nachmittag waren dunkle Wolken aufgezogen, hatten innerhalb kürzester Zeit ihre Schleusen geöffnet und den See zum Überlaufen gebracht. Heftiger Donner und gleißende Blitze hatte die Diné sich in ihre Hogans zurückziehen lassen, im Wissen, dass spätestens in einer halben Stunde die Sonne hervorkommen und den Boden zum Dampfen bringen würde.

Gidi liebte diese kurzen Gewitter. Von ihrem Hogan aus konnte sie einen Zipfel des Sees erblicken und sie genoss das Schauspiel, welches sich ihr jedes Mal bot: Blitze zuckten über den Wheathfields lake, bildeten ein spinnennetzartiges Muster und tauchten das Umland in helles Licht.

Nachdem der Wind die Wolken vertrieben und die Sonne wieder die Vorherrschaft übernommen hatte, erblickte Gidi ihren Sohn Schi-So, der von seinem Hogan zu dem ihrigen heruntergestiegen kam.

„Mama, ist Papa bei dir?", fragte der blonde Indianer.

Gidi lächelte ihrem Sohn zu und bewunderte, wie so oft, seine hochgewachsene schlanke, aber kräftige Gestalt.

„Nein, er ritt vor dem Gewitter mit einigen Männern zu den Schafherden, um die Hirten zu unterstützen. Ich nehme an, dass sie bald zurückkehren werden. Möchtest du hier auf ihn warten?"

„Ja, dann kann ich dir direkt erzählen, was ich mit Papa besprechen möchte. Adolf hat Nachricht von Ma'iitso bekommen. Er fragt an, ob wir drei, also Papa, Adolf und ich, zu ihm kommen könnten. Er möchte mit Papa etwas besprechen und anschließend mit uns eine seiner Sägemühlen aufsuchen."

„Es ist gut, wenn ihr Martin unterstützt. Er ist nicht mehr der Jüngste. Ich frage mich sowieso, warum er seine Geschäfte noch aufrechterhält. Er sollte sie verkaufen und den Lebensabend genießen."

„Ich vermute, dass er mit uns darüber sprechen möchte."

„Da kommt Adolf und ich sehe auch Nitsas-Ini."

Gidi winkte ihrem Mann zu, der soeben mit einigen Diné zurück zum Dorf geritten kam.

„Euer Hogan hat eine noch bessere Lage als der meine. Du kannst von hier aus tatsächlich alles Wichtige überblicken."

„Die Erbauer unsere Hütte wussten wahrscheinlich, wie neugierig ich bin", lächelte Gidi.

Während sich Adolf, Nitsas-Ini und Schi-So zusammensetzten, verschwand Gidi im Hogan, um eine kleine Mahlzeit zusammenzustellen. Mit einem Krug Wasser, Bechern und einem Korb voller kleiner Maisfladen, die mit einer Mischung aus Beeren und Honig bestrichen waren, kam sie zurück zu den Männern und setzte sich zu ihnen. Erfreut griffen alle zu und genossen das ungewöhnliche Mahl.

„Hmm, Mama, das ist lecker. Hast du das selbst gemacht?", fragte Schi-So.

„Nein, leider nicht. In der letzten Woche war Rosa hier und hat mir ein großes Glas dieser Mischung gebracht. Aber sie hat mir das Rezept hiergelassen. Das kann ich dir mitgeben."

So gestaltete sich das Gespräch erst einmal um belanglose Dinge, bis Adolf in seine Brusttasche fasste und einen Brief herauszog.

„Onkel Martin hat mir eine Nachricht zukommen lassen. Er möchte, dass du, Nitsas-Ini, zu ihm kommst, denn er möchte etwas mit dir besprechen. Und er bittet Schi-So und mich, dich zu begleiten."

Nitsas-IniWo Geschichten leben. Entdecke jetzt