Im Tal der fallenden Wasser

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Gidi saß wie gewöhnlich vor ihrem Hogan und beobachtete die Menschen, die im Dorf ihren Arbeiten nachgingen oder sich Freizeitvergnügungen hingaben. Sie hörte die Frauen an ihren Webrahmen schwatzen und vernahm das freudige Kreischen der Kinder, die sich im Wasser des Wheatfield Lake tummelten.

Ihr Mann Nitsas-Ini überquerte gerade den Dorfplatz und wandte sich der Hütte des Medizinmannes zu.

Gidi runzelte die Stirn. Ob sich ihr Mann unwohl fühlte? Oder handelte es sich lediglich um einen Anstandsbesuch? Neugierig beobachtete sie das weitere Geschehen.

Nitsas-Ini betrat den Medizinhogan, nachdem der Medicus ihn hineingebeten hatte und

es schien Stunden zu dauern, bis er die Hütte wieder verließ und mit schweren Schritten den Weg hinauf zu ihr ging.

Obwohl der Diné blind war, hielt er zielstrebig auf Gidi zu und ließ sich neben ihr nieder.

Es begann schon zu dunkeln, als Nitsas-Ini nach einer Weile des Schweigens zu sprechen begann:

„Gidi, ich möchte, dass du dir einen jüngeren Mann in den Hogan holst."

Die Deutsche hatte mit allem gerechnet, nur nicht damit. Entsetzt schaute sie ihren Mann an und brachte keinen Ton über die Lippen. Nachdem sie mehrmals tief Luft geholt hatte, schloss sie zuerst den Mund, den sie vor Verblüffung weit aufgerissen hatte.

Dann griff sie zum Kalumet, stopfte es umständlich und setzte den Tabak in Brand.

Gedanken wirbelten durch ihr Gehirn und hinterließen ein Chaos von Szenarien, die ihren Mann und seine wahrscheinliche Krankheit betrafen.

Warum wollte Nitsas-Ini, dass sie sich einen jüngeren Mann nahm? Sie brauchte niemanden außer ihn an ihrer Seite. Und würde er sie verlassen, so bliebe sie ihr weiteres Leben allein.

Dann überlegte sie kurz, ob es im Dorf einen Mann geben würde, der sie begehrte. Sie lachte kurz auf; wahrscheinlich würde sich kein Diné trauen, es mit ihr aufzunehmen.

Nitsas-Ini hob fragend eine Augenbraue als er das Lachen vernahm. Er wüsste schon gerne, was Gidi dazu gebracht hatte, doch anscheinend hatte sie sich wieder dem Kalumet zugewandt.

„Nein, danke", antwortete sie plötzlich.

Seine Nase verriet ihm, dass sich der Tabak in der Pfeife Gidis dem Ende zuneigte. Trotzdem hatte sie, ganz gegen ihre sonstige Gewohnheit, keine Fragen gestellt und Nitsas-Ini fühlte sich zunehmend unwohl.

Gidi säuberte ihr Kalumet, faltete ihre Decke und verabschiedete sich für die Nacht. Perplex blieb der Diné erst einmal sitzen.

Er hörte, wie seine Frau die Felle ausbreitete und sich zum Schlafen zurechtmachte. Seufzend stand er auf, begab sich in das Innere seiner Hütte und schloss die Tür.

Gidi hatte es sich schon auf ihrem Lager bequem gemacht und beobachtete jetzt ihren Mann, der sich nun zögernd auskleidete und gegen seine sonstige Gewohnheit den Lendenschurz anbehielt. Als er sich zu ihr legte, versuchte er, einen größeren Abstand zu ihr zu halten.

Gidi hatte sich auf die Seite gelegt und den Kopf in die Hand gestützt. Gespannt schaute sie Nitsas-Ini ins Gesicht und musste feststellen, dass es einige neue Falten aufwies. Sie hoffte inständig, dass er ihr seine Sorgen mitteilte, ohne dass sie ihn dazu drängen musste.

Der Diné lag auf dem Rücken und hatte die Lider gesenkt. Er wusste, er musste mit Gidi reden, sonst würde er in dieser Nacht nicht zur Ruhe kommen. Also drehte er sich ihr zu und Gidi machte eine kleine Bewegung, so dass sich ihre Nasen wie zufällig berührten.

Nitsas-IniWo Geschichten leben. Entdecke jetzt