Der große Streit

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Wie jeden Morgen zum Sonnenaufgang, verließ Nitsas-Ini den Hogan durch die Tür, die traditionell nach Osten wies, und begrüßte die Sonne, die das Symbol für den Neuanfang war. Mindestens eine Minute schaute er zu, wie der gelbe Ball über den Horizont kroch und erfreute sich an dem schönen Anblick. Dann räkelte er sich gemächlich und ging hinunter zum See, um sich zu erfrischen. Hier traf er auch die anderen Dorfbewohner, die das gleiche Ritual durchführten. Er sprach mit den Männern, erkundigte sich nach deren Wohlergehen und traf Verabredungen.

Wie fast jeden Morgen, außer im Winter, wenn der See gefroren war, schwamm er eine Strecke und lockerte seine Muskeln. Anschließend füllte er zwei Eimer mit Wasser und trug diese zurück zum Hogan Er kleidete sich an und genoss das Frühstück, welches Gidi ihm mittlerweile zubereitet hatte.

Anschließend saß das Paar vor seinem Hogan, rauchte das Kalumet und besprach den Tag. Gidi würde sich an diesem Vormittag mit ihrer Freundin, der Medizinfrau Káalógii treffen. Viele der Diné-Frauen vertrauten sich den beiden an, wenn diese zusammen vor ihrem Hogan saßen. Anschließend hatte sie Arbeitsdienst auf den Feldern bis die Sonne über der großen Zeder im Westen stand.

Am späten Nachmittag ging sie, so oft ihr die Zeit blieb, mit den Frauen schwimmen. Abends dann bereitete sie das Abendessen vor und beschäftigte sich mit Hausarbeit, bis ihr Mann kam.

Nitsas-Ini hatte einige Verabredungen getroffen und wollte auch noch zwei Clans aufsuchen, die weiter oben am Wheatfields Creek wohnten. Zwischendurch würde er seine Pferde und Schafherden besuchen und dort nach dem Rechten sehen.

Gidi und Káalógii hatten einen angenehmen Vormittag. Es kamen nur wenige Frauen zu ihnen und deren Fragen und Anliegen waren einfach zu klären. Dann zog sie sich ihre Arbeitskleidung an und half auf den Feldern mit. Anschließend könnte sie und einige anderen Frauen zusammen schwimmen gehen. Sie schaute dann noch schnell bei ihrer Freundin und Adoptivtante Ch'il vorbei, die einige Kinder im Rechnen unterrichtete.

Es blieb Gidi noch einige Zeit, bis sie das Abendessen zubereiten wollte, sodass sie sich dazu entschloss, endlich die Regale im Hogan auszuräumen und abzuwaschen. Dabei summte sie ein Lied und freute sich auf den Abend mit ihrem Mann.

Der kam aber nicht, und sie saß allein vor ihrem Hogan und rauchte. Sorgen machte sie sich keine. Sie wusste zwar nicht, ob Nitsas-Ini allein oder in Begleitung unterwegs war, aber die Gegend war sicher, man hatte keine Streitigkeiten mit den anderen Indianerstämmen, der Vertrag mit den Weißen wurde eingehalten und so vermutete sie, dass er bei einem der anderen Clans übernachten würde.

Gidi liebte die Momente des Alleinseins. Sie nutzte sie, um Briefe an ihren Sohn zu schreiben oder neue Ideen zu entwickeln.

Im Moment überlegte sie sich eine Strategie, wie sie noch einmal nach Santa-Fé reisen konnte. Ihr Freund Ma'iitso, der sie sonst begleitete, war nicht im Dorf und allein konnte sie sich unmöglich durch die große Stadt bewegen. Für eine Frau war dies einfach zu gefährlich und gar mit einem Indianer an ihrer Seite wahrscheinlich gefährlicher als alles andere.

In Gedanken zählte sie die Möglichkeiten auf, die sie hatte. Sie konnte Mayor Smith vom Fort Defiance bitten, ihr Begleitschutz mitzugeben, oder, was noch besser war, sich erkundigen, wann der eine oder andere Soldat sowieso nach Santa-Fé reisen wollte. Diesem konnte sie sich dann anschließen. In der Stadt selbst hatte sie auch Bekannte und sogar Freunde.

Sie erinnerte sich an ihre Handelspartner: den Verkäufer der Decken, den Juwelier und ihren Anwalt. Mit letzterem hatte sie schon so manche Zeit verbracht und war auch mehrfach von ihm eingeladen worden, ihn und seine Familie zu besuchen.

Gidi rieb ihre Nase, nickte dann vor sich hin und holte ihr Schreibzeug. Zuerst verfasste sie einen Brief an ihren Anwalt und dessen Frau. Sie schilderte ihr Vorhaben und fragte an, ob sie bei ihnen in der Zeit in Santa-Fé wohnen konnte. Dann schrieb sie einen langen Brief an Schi-So. Als es dunkel wurde, kroch sie zufrieden auf ihr Lager und schlief ein.

Nitsas-IniWo Geschichten leben. Entdecke jetzt