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„Josh? Was machst du denn hier, mein Schatz?"
Es war mitten in der Nacht und daher war die Frage seiner Großmutter durchaus berechtigt. Als wäre er mit der Hand in der Keksdose ertappt worden, scharrte der Junge unbehaglich mit den Füßen auf dem Boden und sah seine Grammy unsicher an.
Ja, was sollte er da nur drauf antworten? Wie sollte er seiner geliebten Großmutter sagen, dass er vor seinem Clan abgehauen war. In den alten Tagen hätte man es vermutlich ‚kalte Füße bekommen' genannt... und auch wenn die fünf Männer unglaublich süß, lieb und fürsorglich zu ihm gewesen waren, war genau das passiert.
Er hatte kalte Füße bekommen...
Die Angst, sich selbst vollkommen aufgeben zu müssen war einfach zu viel gewesen.
Er wollte kein Omega sein.. er wollte ein Kinderarzt sein, anderen Leuten helfen und nicht ständig von irgendwelchen eifersüchtigen Schwachmaten zusammengeschlagen werden. Er wollte nicht permanent über seine Schulter schauen, ob es vielleicht irgendeinen anderen Alpha gab, der ihn für sich haben und ihn gegen seinen Willen beanspruchen wollte, oder sich ständig mit der Aggression dieser besagten Kaste herumschlagen müssen...
Er wollte all das einfach nicht!
Deshalb hat er gewartet, bis die Männer tief und fest schliefen und war mal wieder aus dem Badezimmerfenster geklettert.
Sein erster Impuls war gewesen, zu Gwenny zu laufen... Auf halben Weg war ihm wieder eingefallen, dass seine beste Freundin nicht mehr da war.
Durch die Schuld eines Alphaclans, war einer der süßesten und liebsten Menschen dieser Welt aus ihrem noch so jungen Leben gerissen worden...
Also hatte Josh die nächsten 10 Minuten damit verbracht, heulend einen kleinen Baum zu umarmen und sich der verzweifelten Sehnsucht und Trauer hinzugeben, die sein Herz wieder und wieder in Stücke riß.
Dann hat er sich mit Ach und Krach zusammengerissen und war durch die sternlose Nacht zum Haus seiner Großmutter gerannt.
Und erstaunlicherweise hat er das Glück gehabt, dass sie die Tür geöffnet hatte und nicht an einer seiner Großväter. Als Alphas verstanden sie einfach nicht, warum ein Omega sich jemals aus der Sicherheit des Nestes entfernen wollte...

„Schätzchen? Was ist passiert? Welchen deiner Männer muss ich kastrieren?"
Die resolute ältere Dame schnappte sich ihren Enkel und zog ihn hinter sich ins Haus hinein. Ohne ein weiteres Wort führte Lalany Josh in die Küche und bedeutete ihm, sich auf einen der Barhocker zu setzen.
Grammy feuerte den Herd an und erwärmte Mandelmilch, in welche sie nun etwas Schokolade hineinbröselte um so einen Kakao zu machen. Dann stellte sie Josh eine Tasse davon vor die Nase, verschränkte die Arme vor der Brust und wartete geduldig darauf, dass ihr Enkel den Seelentröster in sich hineinschüttete.
Lalany seufzte leise, während sie ihren unglücklichen kleinen Sonnenschein betrachtete. Sie hatte den Jungen großgezogen, nachdem seine Mutter und sein Vater sich klammheimlich aus dem Staub gemacht hatten, als Josh gerade mal zwei Jahre alt gewesen war.
Und als er dann seine erste Hitze im Alter von zwölf Jahren bekommen hatte, war Grammy klar geworden, welches Leben Joshi vor sich haben würde. Und da sie ihren Enkel zu einem willensstarken, leidenschaftlichen und emphatischen jungen Mann erzogen hatte, wusste sie auch, dass Josh seinen eigenen Weg gehen musste. Also hatte sie ihren eigenen Clan überredet, den Status des Jungen mit Hilfe von Supress zu verbergen, um Josh so die Zeit zu geben, die er brauchte, um der erstaunliche junge Mann zu werden, der er heute war.
Lalany hatte auch Gwendolyn in gewisser Weise adoptiert. Die arme Kleine hatte ein noch schweres Los gehabt als ihr Enkel selbst und niemanden in ihrer Familie, der sich wirklich in sie hineinversetzen konnte, auch wenn Clarissa einen wundervollen Job als Mutterersatz gemacht hatte.
Gwens Tod hatte die alte Omega schwer getroffen und genau wie ihr Enkel hatte sie Tage damit verbracht in den Armen ihres Clans Trost zu finden, während sie sich die Seele aus dem Leib geweint hatte. Grammy wusste, dass die kleine Epsilon die einzige Freundin von Josh gewesen war und ihr Verlust den Jungen in eine tiefe Depression gestürzt hatte.
Dass er jetzt von seinem Clan weglief, nachdem er das Schlimmste dank ihrer Hilfe überstanden hatte, machte Grammy stutzig.
Irgendwas war im Busch und Lalany würde Himmel und Hölle in Bewegung setzen um weiteren Kummer von ihrem Liebling fernzuhalten!

„Was geht hier vor? Lany? Ist etwas passi.. Josh? Warum bist du hier?"
Der tiefen rumpelnden Stimme folgte ein Schrank großer Alpha mit silbrigen Strähnen in der schwarzen Haarmähne, welche er im Nacken zu einem unordentlichen Zopf zusammengebunden hatte.
Josh atmete erleichtert aus. Von all seinen Großvätern mochte er Dominik am liebsten. Er war wie Xander...ein Kuschelbär wie er im Buche stand und bewies das auch direkt als er seinen Enkel- ohne zu zögern - in die Arme schloss. Ein besorgter Blick zu Lalany hin genügte dem Alpha um zunächst keine weiteren Fragen zu stellen. Er hob Josh hoch und machte sich dann zusammen mit seiner Gefährtin zur Sofalandschaft auf, wo sie sich niederließen.
Es verging eine ganze Weile, in welcher Dominik den Jungen einfach nur sanft hin und her schaukelte und leise schnurrte.
Schließlich fragte Grammy: 
„Bärchen... Jetzt red schon! Dein Clan ist bestimmt voller Sorge. Und wenn sie dich wieder erwischen und mein Kleiner, du weißt genau, dass sie das tun werden, werden sie ihre Sorge mit ein paar deftigen Klapsen auf dein Hinterteil ausdrücken..."
Hier grunzte Dom zustimmend, während er seinen Enkel im Nacken kraulte.
Lalany schüttelte amüsiert grinsend den Kopf und wandte sich dann wieder an den kleinen Omega.
„Josh?! Ich möchte jetzt wissen, warum du mitten in der Nacht auf unserer Türschwelle standest und warum du eindeutig verstört bist. Und ich möchte, dass du redest, bevor der Rest deiner Großväter aufwacht. Du weißt, wie allein schon Frederic reagieren wird!"
Dominik neigte den Kopf und flüsterte Josh ins Ohr: „ Mein Bruder ist nicht so verständnisvoll wie ich, Bärchen. Er würde dich nicht in die Arme nehmen, kraulen und trösten. Er wird dich zu deinem Clan verfrachten also tu, was deine Großmutter sagt und erzähl uns, was passiert ist, hm?!"

Nur zögernd löste sich der Omega aus der warmen Umarmung seines Lieblingsopas.
Zaghaft begann er, mit dessen Gürtelschnalle zu spielen und dann platzte er mit den Ereignissen des Tages heraus. Er erzählte ihnen einfach alles und schämte sich der Tränen nicht, die ihm dabei über die Wangen liefen.
„Ich weiß einfach nicht, wie es weiter gehen soll! Ich hab das Gefühl, als ob ich den Boden unter meinen Füßen verloren hab, als wäre da nichts vertrautes mehr... mir fehlt Gwen so fürchterlich... es ist, als hätte mir jemand ein Stück meiner Seele herausgerissen. Es ist alles so schnell passiert. Gerade hatte ich als ‚Beta' noch eine großartige Zukunft vor mir, Kinderarzt, eine Gemeinschaftspraxis mit Gwenny... und jetzt ist sie tot und ich habe nach dem heutigen Tag keine Chance mehr, meine Ausbildung abzuschließen! Alles wofür ich gearbeitet, wofür ich gelebt habe, existiert nicht mehr. Ich weiß nicht mal mehr, wer ich bin!"
Wahre Sturzbäche strömten über das Gesicht des Omegas und vor lauter Weinen bekam er einen Schluckauf.
„Hat dein Clan das denn gesagt? Dass du deine Ausbildung nicht mehr abschließen darfst?" Ihre Köpfe ruckten herum und gemessenen Schrittes betrat Frederic den Raum. Seine kurzen braunen Haare waren vom Schlaf verwuschelt und er trug nur eine weiche Jogginghose aus Baumwolle.
Seine leuchtend grünen Augen fixierten den Jungen mit Nachdruck, aber ohne Urteil. Auch wenn Frederic der Clansführer war und oft harte und schwere Entscheidungen getroffen hatte, so stand für ihn stets das Wohl seines Zirkels, seiner Familie an oberster Stelle. Er setzte sich auf den Couchtisch und beugte sich leicht vor, um seinen Enkel eine Strähne braunen Haares aus dem Gesicht zu streichen.
Josh schmiegte sich in die Berührung seines Großvaters und sah ihn aus tränenverhangenen Augen an.
„Sag, Bärchen... haben deine Alphas deine Ausbildung abgebrochen? Denn dann wären sie nicht die Männer, für die wir alle sie halten! Denk mal darüber nach... Und was deine andere Frage angeht... Du bist Josh! Ein willensstarker, leidenschaftlicher und mutiger junger Mann! Du bist unser aller Stolz und die Liebe unseres Lebens. Dich aufziehen zu dürfen war ein unglaubliches Privileg und nur weil du jetzt Teil eines Clans bist, ändert dies nichts an dem, was und vor allem wer du bist!" 
Lalany schluchzte auf und die Liebe zu ihrem ersten Alpha brannte heller als je zuvor. Frederic war eher introvertiert und zeigte selten seine wahren Gefühle und nun zu erfahren, wie sehr er seinen Enkel tatsächlich liebte und wie unendlich stolz er auf ihn war...
Auch Josh weinte und steckte die Arme nach seinem Opa aus. Der alte Alpha nahm ihn an seine Brust und wiegte ihn zärtlich hin und her.
„Gib deinem Clan eine Chance... wenn ihr euch alle beruhigt habt, setzt euch in Ruhe hin und dann erkläre es ihnen! Du bist unser Enkel... unser Josh... wir wissen genau wer du bist. Jetzt musst du es nur ihnen noch zeigen..."
Der Omega nickte unter Tränen und küsste Frederic auf die Wange.
„Danke..." flüsterte der Junge, dann hoben starke Arme den Jungen empor und Duncan drückte ihn fest an seinen Körper.
Das Herz des Alphas hämmerte schnell und hart in seiner Brust und er vergrub sein Gesicht an Josh's Nacken, um verzweifelt seinen Duft in sich aufzunehmen. Zu groß war die Sorge, die Angst gewesen, als sein Kleiner plötzlich verschwunden war!
Duncan nickte den Großeltern seines Omegas ehrerbietig zu und wandte sich zum Gehen. Im Raum war der Rest seines Zirkels versammelt und sahen mit einer Mischung aus Erleichterung und Sehnsucht auf ihr Herz.
Josh seufzte traurig... er hatte sie verletzt, als er fortlief.
Noch eine Sache, die er würde grade rücken müssen...

Brennende HimmelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt