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Die Haustür fiel mit einem merkwürdig endgültigen Laut ins Schloss, kurz nachdem der Clan die Schwelle passiert hatte.
Duncan steuerte trittsicher im Dunkeln die Sofalandschaft an und ließ sich darauf nieder. Die restlichen Alphas sammelten sich um ihren Clansführer und den kleinen Omega - sie alle berührten ihn ein ums andere Mal, als müssten sie sich versichern, dass Josh wieder bei ihnen war.
Die Luft war schwer, angefüllt mit Pheromonen und dem Duft verschiedener Emotionen.
Tiefe Sorge, Unruhe, Verzweiflung, Wut, Enttäuschung und Liebe kämpften um ein Vorrecht und schließlich gewann die tiefe Sorge.
Duncan löste zögernd seinen festen Griff um die Taille des Jungen und drehte ihm behutsam auf seinem Schoß um, so dass er den Rest des Clans ansehen konnte.
„Geht es dir gut, Schatz?" fragte Xander besorgt und ging von Josh in die Hocke. Seine schaufelartig großen Hände streichelten zärtlich über das Gesicht des Omegas und strichen die Tränenspuren fort.
Kleinlaut nickte Josh. Er fühlte sich fürchterlich... Auch wenn er diese kurze Auszeit bei seiner Großmutter dringend gebraucht hatte, so hatte er doch seinen eigenen Clan dafür verlassen müssen.
Und was das Ganze noch schlimmer machte: streng genommen war er geflohen und er hatte seinen Alphas dadurch große Sorgen bereitet.
Ja, er hatte zwar eine Markierung, die ihn als beanspruchtes Herz eines Zirkels auswies.... Dennoch war nicht von der Hand zu weisen, dass er nun mal ein seltener Omega war und dass eine Markierung auch ungeschehen gemacht werden konnte... und es gab genügend verzweifelte Clans, die es für einen Omega auch mit Duncans gefährlichen Zirkel aufnehmen würden!

Deke war mal wieder derjenige, der praktisch dachte und sagte: „Es ist schon spät... Josh ist erschöpft und wir stehen gerade neben uns. Da wird jetzt nichts vernünftiges bei rauskommen. Also lasst uns das klärende Gespräch auf morgen vertagen - das gibt uns Zeit, uns etwas abzureagieren und unserem Kleinen den Schock des Tages zu verarbeiten."
Duncan atmete schwer ein und wieder aus, dann nickte er und hob den Omega in Xanders wartende Arme.
Der Bär unter den Alphas drückte den Jungen direkt an seine Brust und trottete leise vor sich hinschnurrend mit ihm zusammen im Schlafzimmer.
Der Clansführer warf David einen kurzen auffordernden Blick zu und sagte:  „Das Fenster im Badezimmer sollten wir mit einem Gitter versehen."
Der angesprochene nickte grimmig und knurrte: „Da stimme ich dir voll zu. Ich werde es morgen direkt in Angriff nehmen... Für heute Nacht glaube ich, reicht es, wenn ich das verdammte Ding mal wieder abschließe!"
Gesagt, getan... der stellvertretende Anführer marschierte postwendend los, um sich das Fenster vorzuknöpfen und ließ Deke, Rafe und Duncan im Wohnzimmer zurück. Der oberste des Clans senkte seinen Kopf und fuhr sich mit einem tiefen, schweren Seufzer durch die langen braunen Haare.
Langsam verschwand die Anspannung, die sich seit dem Verschwinden ihres Herzens aufgestaut hatte, aus seinen Muskeln und er fühlte stattdessen eine bleierne Schwere in sich aufsteigen.
„David hat recht. Auch wenn ich dem Kleinen zünftig meine Meinung geigen möchte, ich fürchte, jetzt würde ich Dinge sagen, die ich  später bitter bereuen würde. Gehen wir ins Bett zurück... Morgen ist auch noch ein Tag... und wenn ich mir angehört habe, was unseren Kleinen quält, versohl ich ihm den Hintern fürs weglaufen und dann eliminieren wir das, was Josh Kummer bereitet ein für alle Mal!"
Rafe grunzte und verschränkte die Arme vor der mächtigen Brust.
„Ich werde ne Runde laufen gehen. Ich bin zu aufgewühlt, um mich ruhig ins Bett zu legen," murmelte er, drehte sich um und stapfte mit steifen Schritten nach draußen.
Deke seufzte leise: „Ich kann meinen Bruder gut verstehen... seit unser Vater uns in einer Nacht und Nebel Aktion verlassen hat als Rafe acht und ich vier waren, haben wir irgendwie mit Verlustängsten zu kämpfen. Als unser Schatz vorhin einfach fort war... das hat alte Wunden aufgerissen."
Duncan nickte langsam.
Auch wenn Alphas als stoisch, herrisch, unbesiegbar und extrovertiert galten, jeder einzelne von ihnen hatte seine eigene schmerzvolle Vergangenheit, welche tiefe seelische Narben hinterlassen hatte.
Deke sah einige Herzschläge mit gequälter Miene ins Nichts, bevor er sich zusammenriss und in Richtung Schlafzimmer verschwand.
Der oberste des Zirkels blieb noch ein wenig in der Dunkelheit zurück...
Zum ersten Mal kamen Zweifel in dem Alpha auf.
Was, wenn er seinem süßen kleinen Omega nicht die Angst vor der Zukunft nehmen konnte?
Wenn er es nicht schaffte, Gefahren von Josh fernzuhalten?
Er hatte als Beschützer ja bereits versagt... ihr Herz war in der Lehranstalt seines eigenen Onkels von einer Vertrauensperson angegriffen und verletzt worden. Und dann war Josh auch noch aus seinen - Duncans - Armen verschwunden!
Hätte der Clansführer von Grammys Zirkel ihn nicht informiert, dass der Kleine dort war...
Duncan wusste nur, dass er den gesamten Staat niedergebrannt hätte auf der Suche nach seinem Herzen, doch nun... wo der Junge wieder sicher in Xanders Griff war... jetzt wollte Duncan ihn einfach nur übers Knie legen und ihm solange den Po verklopfen, bis Josh schwor, nie wieder das Nest zu verlassen!

Müde fuhr der Alpha sich mit den Händen über das Gesicht, dann erhob er sich und ging zum Nest in den Nebenraum. Er lehnte sich in den Türrahmen und betrachtete das friedliche Bild, dass sich ihm darbot.
Der Omega lag lang ausgestreckt bäuchlings auf Xanders massiger Gestalt, Deke und David hatten sich an seine Seiten geschmiegt und nutzen den Rücken des Jungen als Kopfkissen. Abgesehen von dem Heben und Senken der Atemzüge war die einzige Bewegung die von Xanders linker Hand, die sanft den braunen Haarschopf Josh's kraulte.
Lautlos glitt der Clansführer in einem der großen Sessel neben der Tür und richtete sich dort auf eine lange schlaflose Nacht voll des Wachens ein.
Einige Stunden später kam Rafe nach Hause. Er verschwand ohne ein weiteres Wort ins Badezimmer und durch die geschlossene Tür konnte Duncan die Dusche hören.
Obwohl der Vollstrecker meilenweit gerannt sein musste, konnte sein Freund immer noch die frustrierte Wut der Zurückweisung in ihm spüren.
Der braunhaarige Alpha lehnte sich im Sessel zurück und als Rafe wieder in den Nestraum trat und sich neben ihm auf das kleine Sofa fallen ließ, fragte Duncan leise: „Das Laufen hat nichts gebracht, oder?"
Rafe schüttelte langsam den Kopf und verschränkte die Arme im Nacken.
„Nicht wirklich," knurrte er müde, während sein dunkler Blick voller Glut und dennoch so verloren auf dem tief schlafenden Omega ruhte.
„Es war so vertraut... dieses Gefühl des Verlassen-werdens, weißt du? Ich war mir kurz vollkommen sicher, dass unser Kleiner für immer fort sein würde... uns für ungenügend befunden hatte und weitergezogen war... und es war so unendlich viel schmerzhafter, als das Gefühl damals bei unserem Vater..."
Duncan sah ihn wissend an und murmelte: „Ja... ich weiß, was du meinst... ich kann mich einfach nicht schlafen legen, weil ich die ganze Zeit Angst habe, dass Josh wieder verschwindet. Ich kann dir auch nicht sagen, wie es weitergeht... ich weiß nur, dass ich seinen Verlust nicht getragen könnte..."
Dieses Mal war es an Rafe zustimmend zu nicken.
Beide Männer wandten nun ihre Aufmerksamkeit wieder dem schlafenden Schatz ihres Clans zu... und so verharrten sie schweigend, angespannt, voller Sorgen und Furcht vor der Zukunft, während der Mond über das Firmament zog und langsam im Osten die Dämmerung die Nacht aufhellte.

Brennende HimmelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt