- Sonntag, 10.03.24 - Throne/Bring me the horizon -
Immer noch klangen ihre Worte in meinem Kopf nach, während ich meinen rechten Arm kreisen ließ und versuchte, in einer geraden Linie zu joggen. Warum hast du nie Zeit für uns - musst du echt schon wieder gehen - kannst du nicht einmal hierbleiben? Das waren die Sätze, die ich mir beinahe täglich anhören durfte. Ich wusste zwar, dass Lou es gut meinte mit unserer Beziehung und dass ich tatsächlich momentan nur wenig Zeit nur für uns frei geschaufelt bekam. Trotzdem tat es jedes Mal aufs Neue weh.
Ich wechselte den Arm und schaute hoch. Instinktiv schweifte mein Blick hoch auf die Tribünen, auf denen sich langsam die Zuschauer sammelten. Eigentlich sollte ich dankbar sein. Zu jedem Spiel kamen Tausende an Zuschauern und allein die Stimmung könnte momentan nach einer so erfolgreichen Heim-EM nicht besser im Team sein. Außerdem hatte ich das größte Ziel erreicht, das ich mir je vorstellen konnte: Ich habe in meiner Heimat-Arena, der Lanxess-Arena, ein entscheidendes Tor geworfen und wurde sogar zum Man of the Match erkoren. Aber trotzdem hatte alles einen bitteren Beigeschmack, da ich genau zu dieser euphorischen Zeit Probleme in meiner knapp zweijährigen Beziehung mit Louisa hatte.
Mein Blick glitt immer noch die Zuschauerreihen entlang, während ich auf unserer Hälfte der Unihalle in Wuppertal auf und ab lief. Plötzlich stach mir ein intensiv türkis-blauer Schopf an Haaren ins Auge. Ich war blaue Farbe in der Halle gewohnt, gerade weil Blau unsere Mannschaftsfarbe war, aber es war trotzdem jedes Mal aufs Neue faszinierend, diese Farbe bei Auswärtsspielen außerhalb der Gastkurve zu sehen. Um fair zu sein - wir waren hier auf dem Ruhrpott-Derby schlechthin, wir sind mit unserem Mannschaftsbus keine Stunde hergefahren. Entsprechend durfte ich mit einigen blau gekleideten Personen rechnen, die den kurzen Weg auf sich genommen hatten.
Aber trotzdem konnte ich nicht aus dem Bann dieser knallblauen Haare entweichen. Sie gehörten zu einer - zugegebenermaßen - wirklich schönen jungen Frau, die sich anscheinend sehr wohl in der Halle fühlte. So wohl, dass sie einige Selfies schoss, um dann die Kamera auf das Spielfeld zu richten - und damit auch auf mich. Schnell wandte ich meinen Blick ab, konnte aber nicht umhin, kurz später wieder zu ihr aufzuschauen. Selbst auf die Distanz fiel mir ihr neutraler Look auf, der keine definierten Mannschaftsfarben aufwies, was ungewöhnlich für ein Derby war, und der sich stark von den hellblauen Strähnen abhob, die in sanften Locken um ihr Gesicht fielen. Des Weiteren wirkte es so, als ob sie niemanden um sich herum kennen würde, da sie sich nicht darum bemühte, mit den um sie herum sitzenden Menschen zu reden. Vielleicht würde ihre Begleitung ja noch kommen, dachte ich mir.
In diesem Moment fiel mir ein, dass ich eigentlich nach einem ganz anderen Mädchen Ausschau halten sollte. Die Schuldgefühle fielen in mein Herz ein und machten sich auch auf dem letzten Fleck breit, den ich eigentlich für Vorfreude auf das Spiel reserviert hatte. Lou hatte eigentlich versprochen, dass sie zum Derby-Spiel kommen würde, wenn auch mit einem separaten Auto, und danach auf mich warten und mich mit nach Hause nehmen würde.
So ließ ich meinen Blick weiter schweifen, bis er an der Gastkurve stoppte. Ich scannte kurz die Reihen ab, konnte allerdings meine Freundin nirgends entdecken. So fokussierte ich mich wieder auf das Aufwärmen und bekam bald einen Ball zugeworfen, um uns warm zu spielen.
Just als ich einen schönen Ball im oberen linken Eck des Tors platzierte, fiel mein Blick wieder auf die Gummersbach-Kurve und sofort entdeckte ich Louisas hellbraunen Pferdeschwanz. Als sie bemerkte, dass ich zu ihr hoch sah, lächelte sie und winkte. Ich warf ein gezwungenes Lächeln zurück und winkte ebenfalls halbherzig, bevor ich meinen Ball wieder bekam und diesen prellte.
Als ich erneut zu Lou schaute, war diese gerade in das Gespräch mit ihrer Sitznachbarin beschäftigt, die ich als Kira ausmachte, die die frisch verheiratete Frau meines Teamkollegen Lukas Blohme war. Dieser musste verletzungsbedingt aussetzen und konnte so direkt neben seiner Frau sitzen und in der Form das Spiel mitverfolgen.
Ich war so in Verdanken versunken, dass ich den nächsten Ball ohne Maßen neben das Tor pfefferte und mich prompt über mich selbst aufregte. Ich durfte heute keine Schwäche zeigen. Nicht bei dem Derby, nicht nach meinen Leistungen im Nationalteam. Viele schauten zu mir auf oder versuchten, meine Leistung abzuschätzen, nicht zuletzt, da ich Kapitän des Teams war. Häufig machte mir dieser Druck nichts aus, im Gegenteil, oft spornte er mich noch mehr an und trieb mich zu meinen Bestleistungen. Aber heute war eher das Gegenteil der Fall. Jeder Ball, den ich auch nur berührte, schien wie verhext zu sein. Daneben, darüber, gegen die Pfosten oder die Latte, heute konnte ich das gesamte Sortiment aufbringen, mit Ausnahme des Netzes, wo der Ball eigentlich hingehörte.
Kopfschüttelnd setzte ich mich auf die Ruhebank und trank einen Schluck Wasser, um mich wieder zu sammeln. Gleichzeitig rasten meine Gedanken. Vor allem lag mir im Magen, wie wichtig dieses Spiel doch war. Es war zum einen ein Derby, zum anderen ein Auswärtsspiel. Alle Blicke würden konstant auf mir liegen, und unter anderem meine Leistung würde das Endergebnis ausmachen. Ich durfte nichts verhauen und nicht daneben werfen, vor allem nicht so erbärmlich, wie ich es gerade getan hatte.
Ich machte mir Sorgen darüber, was die anderen von mir halten sollten. Insbesondere meinen Teamkollegen und meinem Trainer war ich es schuldig, dass ich heute ablieferte. Verdammt, was war nur los mit mir. Ich war normalerweise nicht so abwesend auf der Platte. Gleichzeitig wollte ich Lou heute zeigen, dass es sich gelohnt hatte, dass ich so viel Zeit im Training oder beim Sport verbracht hatte anstatt mit ihr. Aber das konnte ich wohl heute knicken.
Und richtig, es kam, wie ich es mir ausgemalt hatte: Nach meinen anfänglichen fünf Minuten Spielzeit, die mir inoffiziell als Kapitän zustanden, signalisierte ich unserem Trainer Goggi, dass er Tom für mich einwechseln sollte. Tom Kiesler hatte die letzten Trainingseinheiten deutlich besser abgeschnitten als ich und war als Rückraum Links extrem wichtig für die Abwehr der Mannschaft. Und richtig, die Stimmung des Spiels kippte sofort auf unsere Seite, sobald er das Spielfeld betrat. Goggi nickte mir kurz anerkennend zu, und ich las daraus, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte. Gleichzeitig lag in seinem Blick auch Verwirrung und Enttäuschung, die wahrscheinlich mein Seelenleben momentan besser widerspiegelten, als ich es zugeben wollte.
Selbst, als die sechzig Minuten von der Uhr gelaufen waren und ich keinen Fuß mehr auf das Feld gesetzt hatte, wusste ich immer noch nichts mit mir anzufangen. Ich schob es darauf, dass ich heute einfach einen schlechten Tag hatte, aber unterbewusst war mir klar, dass ein großer Teil meiner heutigen Leistung meinen Beziehungsproblemen anzukreiden war.
Völlig fertig mit meinen Emotionen stellte ich mich unter die Dusche und konnte mich nur halbherzig mit meinen Teamkollegen über ihren wohlverdienten Sieg freuen. Auch das Siegbier, das mal wieder einer unserer Mannschaft reingeschmuggelt hatte, lehnte ich ab. Ich verdrückte mich schnell aus der Umkleidekabine und begab mich in den inzwischen ruhigen Regenerationsraum, in dem ich auch schon unseren Physiotherapeuten fand, mit dem ich ein paar kurze Worte wechselte. Dann ließ ich mich auf einer dünnen Matte nieder und dehnte meinen Rücken, der nach einer Stunde Sitzen auf einer unbequemen Bank doch gestresster war, als ich erwartet hatte.
Das war heute einfach nicht mein Tag.
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Guess who's back - mit einem neuen knackigen Kapitel! Heute mal mit einem POV von Julian Köster - ein starker Kontrast zur energetischen Mia! Die POVs kündige ich immer schon im Titel an, damit ihr gut der Story folgen könnt.
Heute hat Hard Rock irgendwie besser gepasst als Indie, ich hoffe, ihr verzeiht mir :)
Liebe Grüße, eure Ella <3
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111 km/h /// Julian Köster ff
FanfictionHandball, Uni, Instagram und Köln. Das sind alle Themen, die Mia in ihrer kleinen Welt momentan interessieren. Als leidenschaftliche Spielerin geht sie auch an ihrem neuen Wohnort regelmäßig zu nahegelegenen Bundesligaspielen. Doch das Spiel des Ber...