21 - Schlüssel - Julian

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- Samstag, 06.04.24 - Frische Luft/Wincent Weiss -

Ich musste einmal tief durchatmen, als ich vor dem Haus stand, in welchem unsere Wohnung lag. Unsere Wohnung. Inzwischen klang das so surreal. Ich hatte gerade von meiner neuen Vermieterin den Schlüssel zur Wohnung in Ehrenfeld überreicht bekommen. Und so schön dieses Gefühl auch war, genauso stark drängte sich das Gefühl nach vorne, dass ich nicht alleine einziehen wollte.

Mit diesem Gefühl-Wirrwar stand ich also vor unserer Wohnung, die ab sofort nur noch Lous Wohnung sein würde. Da sie die eigentliche Mieterin der Wohnung gewesen war und ich nur "dazugestoßen" war, war es in meinen Augen technisch gesehen immer noch ihre Wohnung.

Nun war ich bereit und drehte den Schlüssel im Haustürschloss. Auch der kurze Zwischenraum zwischen Haustür und der Wohnungstür war schnell überwunden und so stand ich direkt vor der Holztür und zögerte. Was würde mich erwarten, wenn ich durch die Tür kommen würde? Ich hatte Lou nicht Bescheid gegeben, dass ich jetzt vorbei kommen würde. Aber alles Grübeln hatte auch keinen Zweck. Also klopfte ich kurz, bevor ich den Schlüssel im Schloss drehte und eintrat.

Der mir so vertraute Geruch der Wohnung stieg mir in die Nase und stieß etwas in meinem Kopf an. Wie eine Schockwelle kamen mir Bilder und Erinnerungen ins Gedächtnis. Unser erster Kuss, der chaotische Einzug, unsere erste Nacht in dieser Wohnung. Alles prasselte so schnell auf mich ein, dass ich mich am Türrahmen festhalten musste, um nicht zu schwanken.

Dann schüttelte ich den Kopf, um die Bilder loszuwerden und atmete einmal tief durch. Das hier war das Richtige, das wusste ich. Es würde uns beiden gut tun, getrennt voneinander zu leben. Und vielleicht, nur vielleicht, würden wir uns irgendwann wieder besser verstehen. Aber fürs Erste war der Auszug das Richtige.

Ich hörte Geräusche aus dem Schlafzimmer und die Tür öffnete sich. Dann sah ich sie und sie sah genauso aus, wie es in mir drin aussah: Tiefe Augenringe und verheulte Augen, Haare, die anscheinend seit Tagen nicht gewaschen waren, und eine Jogginghose mit einem alten Tshirt von mir. Direkt stiegen mir die Tränen in die Augen und ich blinzelte, um sie loszuwerden. Dann sagte ich schlicht: "Hi."

Sie stand wie in Schockstarre da und wartete, bis ich den ersten Schritt machte. Als ich mich nicht rührte, bewegte sie sich auf den Wohnzimmertisch zu und setzte sich an ihren Platz. Dann bedeutete sie mir, auch mich zu setzen. Ich folgte ihrer Aufforderung und setzte mich ihr gegenüber auf meinen Stammplatz hin. Dann schnappte sie die Tempobox vom Tischende und zog sie näher. Anschließend sagte sie zu meiner Überraschung: "Wir müssen reden."

Ich nickte und machte den Anfang. "Es tut mir so unendlich leid. Alles. Am meisten, dass ich mich nicht gemeldet hab. Es hat einfach so wehgetan." Sie lachte bitter. "Selbst wenn du es versucht hättest, wärst du nicht durch gekommen." Sie hatte mich also geblockt gehabt. Hätte ich an ihrer Stelle wahrscheinlich auch gemacht.

Dann fuhr sie, wieder zu meiner Überraschung, fort: "Mir tut es auch leid. Das alles hätte ganz anders ablaufen sollen." Ich widersprach ihr da nicht. So seufzte ich und meinte ehrlich: "Ja, das hätte es. Aber du hattest komplett recht mit dem, was du getan hast. Ich glaube, es ist für uns beide besser, wenn wir nochmal von vorne starten können." Auch sie seufzte auf, bevor sie nickte und sich ein Taschentuch schnappte.

Sie wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln und auch ich war kurz vorm Weinen. Dann meinte sie: "Ich glaube auch. Es tut nur so unglaublich weh." Ohne zu zögern, reagierte ich: "Mir tut es auch so weh." Sie lachte leise und sagte dann: "Wie ironisch die Welt doch ist." Ich nickte bloß.

Dann stand ich auf und schnappte zwei Gläser aus dem Küchenschrank. "Wasser?" Sie nickte und so füllte ich die Gläser und brachte sie zum Tisch, bevor ich mich erneut setzte. Dann tranken wir beide einen Schluck. Mit immernoch tränenden Augen meinte sie: "Ich vermisse dich. Ich vermisse meinen besten Freund. Ich vermisse, dass ich dir immer alles erzählen konnte." Ich lachte leise. "Genau das selbe habe ich Tom auch gesagt." Auch sie musste leise lachen und ich schluckte ein klein wenig Trauer herunter.

111 km/h  /// Julian Köster ffWo Geschichten leben. Entdecke jetzt