- Montag, 11.03.24 - Run/Joji -
Halb verschlafen strich ich mir mit der rechten Hand die wilden Strähnen aus der Stirn. Danach legte ich die Hand auf den Schaltknüppel und legte den dritten Gang ein. Halb neun war definitiv zu früh für mich, vor allem, wenn es um Arzttermine ging. Und noch viel mehr, wenn es um Arzttermine gingen, die nicht mal meine eigenen waren. Aber ich hatte Lou versprochen, dass ich sie zum Zahnarzt begleiten würde. Sie hat immer noch Angst davor und ich verstehe zwar nicht die Angst vor Zahnärzten, aber ihre Angst generell. Deshalb hatte ich mich von ihr überreden lassen, dass ich sie vor meinem Training dorthin fahren würde.
Genauso, wie ich es mir schon dachte, verkrampften sich ihre kreidebleichen Hände in ihrem Schoß auf dem Beifahrersitz. Für einen kurzen Moment blickte ich nach rechts, wo ihre Miene genau diese Angst widerspiegelte. Schnell konzentrierte ich mich wieder auf die Straße, die ich nur allzu gut kannte. Im Radio lief ein langsamer Song und am liebsten hätte ich sie jetzt umarmt. Da ich aber nur ungern gegen eine Straßenlaterne fahren würde, legte ich ihr stattdessen sanft meine Hand auf den Oberschenkel. Sie zuckte zusammen und spannte sich an, woraufhin ich meine Hand wieder zurück auf den Schalthebel legte. Fühlt sich wohl so eine Panikattacke an?
"Bist du okay?", fragte ich vorsichtig. "Was denkst du denn? Ich panike grade leicht...", erwiderte sie schnippisch. Aufs Neue spürte ich einen leichten Stich im Herzen. Ich versuchte ja, einfühlsam zu sein, aber wenn sie mich konstant nur abblockte, was konnte ich da tun?
"'Tschuldigung. Es macht mich einfach nur fertig." Ich nickte verständnisvoll und konzentrierte mich weiterhin auf das Fahren unseres kleinen Polos. "Das wird schon werden. Letztes Mal war doch auch nicht so schlimm."
Ich merkte sofort, wie sie mich säuerlich anblickte. "Danke auch." Der Sarkasmus schwang deutlich in ihrer Stimme mit. Danach breitete sich wieder Stille im Auto aus, neben der leise laufenden Radiomusik.
"Sag mal, warum hast du eigentlich gestern nicht mehr gespielt? Ich dachte, du wolltest abliefern..." Auch diese Aussage tat weh. Natürlich wollte ich abliefern, aber gestern lief einfach nicht so wie ich wollte. Dass sie dagewesen war und mir zugeschaut hatte, war auch nicht wirklich hilfreich gewesen. Und dann waren da diese Schuldgefühle...
Als ich merkte, dass ich ihr noch nicht geantwortet hatte, meinte ich schnell: "Gestern war einfach nicht mein Tag." Sofort merkte ich, dass sie nicht zufrieden mit der Antwort war, wusste aber auch nicht, was ich besseres hätte sagen sollen.
"Und warum lief es gestern nicht so bei dir? Du hattest doch massenweise Training die letzten paar Tage!", meinte sie, und die leichte Säure konnte ich direkt aus ihrer Stimme heraushören.
"Tut mir leid, wenn ich nicht das abliefern konnte was ich wollte. Ich finde aber auch nicht, dass ich das ausgerechnet dir erklären muss." Oh, da hatte ich mich definitiv gerade im Tonfall vergriffen. Ich wollte eigentlich nur das Thema wechseln.
Sie richtete sich auf und jegliche Angst war aus ihrer Körperhaltung verschwunden. Diese wurde soeben mit Wut ersetzt. "Und was genau musst du mir nicht erklären? Na danke auch für das Vertrauen." Sie hatte recht, und ich wusste das. Aber trotzdem wollte ich einfach in diesem Moment woanders sein, als hier eingepfercht in einem kleinen Auto mit ihr, so früh morgens.
So zog ich nur meine Augenbrauen zusammen und versuchte, die negativen Gefühle und die Schuld, die wieder in mir aufstieg, herunter zu schlucken. "Tut mir leid. Das wollte ich nicht sagen. Ich hab es nicht so gemeint. Es lief gestern einfach alles beschissen."
Sie seufzte hörbar und drehte sich mit dem Oberkörper zum Fenster. Somit war das Gespräch für sie beendet, das wusste ich.
Ich ließ meine Gedanken streichen, während ich mich hinter dem Steuer immernoch nach Westen durch Köln wuselte. Die Stadt war selbst an einem frühen Montagmorgen hektisch und chaotisch. Normalerweise liebte ich diese Stimmung, diese schiere Aufgeregtheit, aber automatisch träumte ich mich in diesem Moment an den mallorquinischen Strand, an dem ich noch vor wenigen Monaten mit meinen Mannschaftskollegen gelegen hatte und mich gesonnt hatte.
Damals war die Welt noch einfacher gewesen. Damals hatte ich noch nicht den Druck des vierten Platzes bei der EM auf meinen Schultern gespürt. Ich hatte eine gesunde, glückliche Beziehung und ein Ziel vor Augen. Ein Ziel vor Augen... genau das fehlte mir, wurde mir in dem Moment bewusst. Ein Ziel, das ich jetzt noch finden müsste, da ich eigentlich alles erreicht hatte, wovon ich damals nur träumen konnte. Der bittersüße Nachgeschmack der Erinnerung an das erste Spiel in der Lanxess-Arena lag mir plötzlich wieder auf der Zunge.
In diesem Moment fuhr ich in die Auffahrt des besagten Zahnarztes ein, hielt den Wagen auf einem Parkplatz an und drehte den Schlüssel im Zündschloss. Der Hof war, neben unserem Auto, menschenleer. Da wir noch einige Minuten Zeit hatten, bevor ihr Termin anfangen würde, meinte ich zu Lou: "Bitte verzeih mir. Ich weiß auch nicht was momentan mit mir los ist. Und glaub mir, es wird gleich alles gut gehen. Du wirst sehen." Sie zuckte nur mit ihren Schultern und atmete hörbar aus. "Eigentlich wollte ich dir noch von Mia erzählen." Ich schaute sie fragend an. "Mia?" Sie verdrehte die Augen. "Ja, Mia. Das Mädchen, das ich gestern nach dem Spiel kennen gelernt habe?"
Ich erinnerte mich schlagartig. Das Mädchen, das meinen Kopf so schnell in Verwirrung gestürzt hatte beim Aufwärmen. Es musste echt ein riesiger Zufall gewesen sein, dass ausgerechnet sie zusammen mit Lou auf mich gewartet hatte nach dem Spiel. Sie könnte definitiv noch zum Problem werden... "Stimmt, ich erinnere mich. Was wolltest du mir zu ihr erzählen?"
"Sie hat mich gestern abend noch angeschrieben. Wir haben uns auf ein Treffen in so einem Cafe verabredet. Ist das okay mit dir?" Ihre Haselnuss-braunen Augen blickten mich durchdringend an.
Ich schaute verwirrt zurück. "Natürlich ist das okay mit mir. Du brauchst mich doch nicht um Erlaubnis fragen, wenn du dich mit jemandem triffst. Wie kommst du denn auf sowas?"
Sie atmete erleichtert aus. "Keine Ahnung. Ich bin mir nur einfach noch nicht so sicher, ob ich vielleicht eine neue Freundin gefunden habe." Ich lächelte leicht. "Aber das ist doch gut. Triff dich mit ihr, das wird gut werden." Jetzt lächelte sie ebenfalls. "Danke. Aber ich muss jetzt los, und du auch, sonst kommst du noch zu spät zum Training." Sie küsste mich schnell auf die Wange, bevor sie sich abschnallte und die Beifahrertür öffnete. Ich blickte ihr noch kurz hinterher, bis sie an der Haustür der Arztpraxis angekommen war und mir noch einmal kurz winkte. Dann startete ich wieder das Auto und machte mich auf dem Weg zum Training.
In meinem Kopf spielten sich die vorigen Szenen noch einmal ab. Der Streit, die Unterhaltung auf dem Parkplatz, der leichte Kuss auf die Wange. Dann wanderten meine Gedanken wieder zum gestrigen Moment in der Halle. Wie leicht das blauhaarige Mädchen doch meinen Blick auf sie gelenkt hatte und wie schwer ich mich doch nur wieder von ihr lösen konnte. Wie unbeschwert ich mich gefühlt hatte und wie schnell ich doch Lou vergessen hatte. Ja, dieses Mädchen würde definitiv noch zum Problem werden.
- 1197 Wörter -
Drama, Baby, Drama! Ich liebe es aus irgendeinem Grund, Streitszenen zu schreiben. Auf ein Neues und bis bald, eure Ella <3
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111 km/h /// Julian Köster ff
FanfictionHandball, Uni, Instagram und Köln. Das sind alle Themen, die Mia in ihrer kleinen Welt momentan interessieren. Als leidenschaftliche Spielerin geht sie auch an ihrem neuen Wohnort regelmäßig zu nahegelegenen Bundesligaspielen. Doch das Spiel des Ber...