#14 See

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Logan

Nachdem Jordan und ich gefrühstückt hatten, waren wir direkt zu meiner Wohnung gefahren. Skeptisch beäugte er das Hochhaus, welches sich vor uns erstreckte. Die Fassade war ranzig und blätterte bereits an manchen Stellen ab. Im unteren Geschoss waren die Fenster von der unbewohnten Wohnung eingeschlagen. Im Glas von der Eingangstür war ein Loch, in welches man greifen konnte, um die Tür zu öffnen.

„Bezahlt Zoe dich so schlecht?", fragte Jordan nach. Erst wollte ich ihm einen genervten Blick zu werfen, aber ich tat es nicht, da die Frage irgendwie berechtigt war. „Nein. Das war meine erste Wohnung und ich kann mich irgendwie nicht davon trennen", antwortete ich ehrlich.

Verstehend nickte er. Genau das war der Grund gewesen, warum ich ihn ungerne mit zu mir nehmen wollte. In meinem Job hatte ich den ganzen Tag mit Immobilien zu tun, egal ob vermieten oder verkaufen, und dann wohnte ich selber in so einem Abbruchreifen Gebäude. Da ich nicht noch länger stehen bleiben wollte, griff ich nach meinem Schlüssel. Wieder einmal funktionierte der Aufzug nicht, wodurch wir die Treppe bis zum zweiten Stock nehmen mussten. An manchen Wänden befanden sich Graffitis, die von Monat zu Monat mehr wurden. Ein kleines war sogar von mir, da man mir bei meinem Einzug erzählt hatte, dass jeder eins an die Wand sprühte. Als wir endlich an meiner Wohnungstür ankamen, zog ich mit einer Hand den Türknauf hoch und schloss mit der anderen auf. Seitdem ich hier wohnte, klemmte und quietschte die Tür. Anstatt auf Jordans neugierigen Blick zu achten, lief ich in mein Schlafzimmer, um die Picknickdecke vom Schrank herunterzuholen. Kurz musste ich husten, da die Decke vollkommen verstaubt war. Das letzte Picknick war schon so lange her. Nachdem ich den Stoff ausgeschüttelt hatte, ging ich zurück zu Jordan, der sich mittlerweile im Wohnzimmer umschaute.

„Sind das deine Eltern und dein Bruder?", fragte Jordan. Er deutete auf ein eingerahmtes Bild, welches auf der Fensterbank stand. „Ja, aber das Bild ist schon ein paar Jahre alt", stellte ich fest. Es war offensichtlich, denn dadrauf hatte ich noch kurze Haare. „Sie sehen nett aus", sagte er. „Sind sie", log ich.

Zumindest Mom war eine nette Person. Von Dad und Jamie konnte man das nicht behaupten. Die beiden verkörperten den Begriff unmenschlichkeit. Lächelnd betrachtete ich das Bild, denn zu dem Zeitpunkt war alles noch irgendwie normal. Dad war nie ein gutes Vorbild, aber zu der Zeit war er es mehr als jetzt. Sanft legte ich eine Hand auf Jordans Schulter, um ihm zu verständigen, dass ich fahren wollte. Im Augenwinkel erkannte ich das Notizbuch über Jordan und hoffte, dass er es nicht gesehen hatte. Ich war froh, dass es unauffällig aussah und sein Name nicht drauf stand. In dem Moment merkte ich erst recht, dass es keine gute Idee gewesen war ihn mit hierher zunehmen. Ich musste das Buch unbedingt woanders hinlegen, beschloss ich, als wir meine Wohnung verließen. Draußen war ich um die frische Luft froh, da ich erst dort merkte, dass ich die letzten Minuten viel zu wenig davon hatte. Das Bild bedeutete mir so viel, aber löste auch genügend negatives aus.

***

Am See angekommen, nahm ich die Picknickdecke und eine Tüte vom Supermarkt aus dem Kofferraum heraus. Damit wir etwas zu trinken und eine Kleinigkeit zu essen hatten, hatte ich vorhin angehalten. Jordan strahlte über beide Ohren, als er zum See herabblickte. Bevor wir die Treppe hinabstiegen, nahm er mir die Einkaufstüte ab. Da die Temperaturen niedrig waren, waren nicht viele Menschen unterwegs. Nur ein paar Hundebesitzer, die entweder spazieren gingen oder ihrem Hund ein Wurfspielzeug quer über den Rasen warfen. Das herbstliche Wetter machte sich nicht nur durch Kälte bemerkbar, sondern auch durch die bunten Blätter, die über dem Boden verteilt waren. Nur wenige Meter vom Wasser entfernt breiteten wir die Decke aus, um uns im nächsten Moment darauf zu setzen.

„Es ist hier wunderschön. Wie kommst du immer diese Ideen?", interessierte Jordan sich. Um ihn bei der Antwort nicht ansehen zu müssen, kramte ich in der Einkaufstüte herum. „Mir fällt so etwas spontan ein. Und wenn ich denke, dass es dir gefallen könnte, schlage ich es vor oder lasse es eine Überraschung sein." Der erste Satz war vollkommen gelogen. Die bisherigen Dates hatte ich nämlich alle mit meinem ehemaligen Beziehungspartner schonmal erlebt. Manchmal dachte ich an ihn und dann kamen die Ideen gleich mit. „Ich würde demnächst gerne mit dir ins Kino", sagte er. „Das hört sich super an. Am Wochenende?", fragte ich nach, was er sofort bejahte.

Zeit ist GeldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt