#19 Ausfallen

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Jordan

Die halbe Nacht war ich durch die Schmerzen in meiner Schulter und zu vielen Gedanken wach gewesen. Immer wieder war ich am überlegen, wie ich Ray erklären sollte, dass ich mehrere Wochen ausfiel. Noch hatte ich keinen Weg gefunden, indem ich den Shop offen lassen konnte und er nicht Vollzeit arbeitete. Zwischendurch hatte ich sogar bereut, dass ich dem Arztbesuch zugestimmt hatte, aber auf Dauer würde mir nur zu Gute kommen. Wenn die Entzündung ausgeheilt war, konnte ich wieder komplett durchstarten.

„Jordan", sagte Logan meinen Namen. Seine Stimme war ruhig und ganz nahe an meinem Ohr. Grummelnd drehte ich mich auf die Seite. „Ich fahre jetzt, pass auf dich auf und trag deine Armschlinge", bat er mich. Ganz knapp bekam ich sein Handgelenk gegriffen. „Bekomme ich noch einen Kuss?", krächzte ich. Mein Hals war vollkommen trocken. Sanft lächelte er mich an, bevor er mir einen kurzen Kuss gab. „Bis heute Abend", verabschiedete er sich. Müde winkte ich ihm zu.

Orientierungslos tastete ich nach meinem Handy, welches ich glücklicherweise zügig fand. Ein Blick auf die Uhrzeit verriet mir, dass ich noch fast zwei Stunden Zeit hatte, bis ich in den Shop musste. Logan war wahrscheinlich so früh gegangen, da er sich noch umziehen musste. Er hatte natürlich keine Wechselkleidung dabei gehabt, da die Übernachtung spontan gewesen war. Ich hatte gewollt, dass er über Nacht blieb, weil ich die Hoffnung hatte, dass ich dadurch besser schlafen könnte. Ohne seine Anwesenheit wäre die Wahrscheinlichkeit hoch gewesen, dass ich kein Auge zugemacht hätte. Dazu kam, dass ich es mittlerweile mochte neben ihm aufzuwachen, was an dem Morgen nicht hundertprozentig funktioniert hatte. Trotzdem war ich froh, dass er mir Bescheid gegeben hatte, dass er fährt, da ich ihn so verabschieden konnte. Ich mochte nicht, wenn man ohne Wort verschwand, denn das erinnerte zu sehr an einen One Night Stand. Weil ich versuchen wollte noch etwas Schlaf zubekommen, schloss ich meine Augen. Aus der Küche hörte ich Geräusche. Ich wusste nicht, ob ich dadurch nicht einschlafen konnte oder weil ich einmal wach war. Langsam stand ich auf und trottete ins Badezimmer, wo ich mich erleichterte und meine Zähne putzte.

„Kaffee?", fragte Zoe, als ich die Küche betrat. Träge nickte ich und nahm die Tasse entgegen, welche sie mir kurz darauf hinhielt. „Wo ist deine Armschlinge?", wollte sie wissen. Leise seufzte ich und schloss für wenige Sekunden meine Augen. „Ziehe ich gleich an, keine Sorge", versicherte ich ihr. Ich nahm alle Kraft für ein Lächeln zusammen und hoffte, dass es nicht einer Grimasse glich.

Meine Schwester konnte sich bereits denken, dass ich das Teil nicht mochte. Wenn ihre strengen Argusaugen und Logans seine nicht wären, hätte ich die Schlinge schon längst entsorgt. Krank sein mochte ich sowieso nicht, aber verletzt zu sein war schlimmer. Es grenzte an reinste Folter, wenn man kaum etwas machen konnte eher gesagt durfte. Natürlich mochte ich es, wenn ich einen freien Tag hatte, aber wochenlang im Shop auszufallen schadete nicht nur mir. Bei dem Gedanken, dass Ray nun wirklich kündigen könnte, drehte sich mir der Magen um.

***

Freudestrahlend betrat Ray den Shop. Bei unserem sehr kurzen Telefonat konnte ich ihm nicht ansatzweise erzählen, was los war. Verwundert schaute er auf meine Armschlinge und dann wieder in meine Augen. Erst hatte ich überlegt, ob ich die Schlinge nicht anziehe, aber Zoe und ich hatten die Wohnung gleichzeitig verlassen, wodurch das nicht möglich gewesen war.

„Was ist passiert?", fragte mein Aushilfe nach. Ich wusste noch immer nicht, wie ich das Gespräch am besten mit ihm führen sollte. „Ich habe seit längerem Schmerzen in der Schulter. Es hat sich herausgestellt, dass sie entzündet ist", erzählte ich. Mitleidig verzog er sein Gesicht.

Mit einem Seufzen ließ ich mich auf dem Stuhl hinter der Kasse nieder. Sein Mitleid war das Letzte, was ich wollte. Prinzipiell wollte ich keins haben. Unschlüssig nahm ich mir einen Kugelschreiber zur Hand und tippte damit auf der Tischplatte herum. Da Ray noch seinen Rucksack auf dem Rücken hatte, schickte ich ihn diesen wegbringen, damit ich nochmal tief durchatmen konnte. Die Nachfrage, ob ich auch einen Kaffee haben wollte, verneinte ich. Der Geruch von dem Koffeinhaltigen Getränk verteilte sich und wirkte beruhigend auf mich. Als Ray zurückkam, lehnte er sich mit der Hüfte gegen den Tresen.

Zeit ist GeldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt