#10 Jahrmarkt

68 11 0
                                        

Logan

„Verrätst du mir jetzt, wohin wir fahren?", fragte Jordan, als wir fünf Minuten unterwegs waren. Ich musste über seine ungeduld schmunzeln. „Lass dich überraschen", antwortete ich nur.

Aus dem Augenwinkel erkannte ich, dass er seinen Kopf in die Kopfstütze drückte. Ein frustrierter Laut entkam ihm, aber der ließ mich nicht einlenken. Ich hatte nichts großes geplant, aber ich hoffte, dass es ihm gefiel und er sich freuen würde. Er sah müde und erledigt aus, wodurch ich vermutete, dass wir sowieso nicht lange dort bleiben würde. Konzentriert schaute ich auf die Straße und lauschte der ruhigen Musik vom Radio. Obwohl ich das Lied nicht kannte, summte ich leise.

„Wir fahren aus der Stadt raus", stellte Jordan fest, als wir an unserem Ortsschild vorbeifuhren. Eastfield war durchgestrichen und unsere Nachbarstadt, Bluefort, wurde mit nur wenigen Kilometern ausgezeichnet. „Vielleicht weißt du jetzt, wohin wir fahren", vermutete ich. Mit aufeinander gepressten Lippen schüttelte er den Kopf.

Zwanzig Minuten später konnte ich bereits unser Ziel erkennen. Das große beleuchtete Riesenrad war schließlich nicht zu übersehen. Jordan schien mittlerweile auch zu verstehen, wo es hin ging, denn er lächelte, was ich als ein gutes Zeichen wertete. Als ich auf dem überfüllten Schotterplatz eine Lücke gefunden hatte, griff ich nach hinten zum Rücksitz, um mir meine Jacke zu nehmen. Irritiert darüber, dass ich sie nicht fand, griff ich nach meinem Handy, damit ich die Fläche beleuchten konnte. Der dicke Stoff war nirgendwo zu entdecken. Anstatt mich aufzuregen, stieg ich aus und umrundete das Auto. Jordan wollte bereits die Tür öffnen, aber ich kam ihm zuvor.

„Ich weiß gar nicht, wann ich das letzte Mal auf einem Jahrmarkt war", sagte er, nachdem er ebenfalls ausgestiegen war. „Wenn du es nicht mehr weißt, ist es viel zu lange her", behauptete ich. Leider wusste ich noch allzu genau, wann ich das letzte Mal hier war. Ich war mit meinem Exfreund im Vorjahr hier gewesen.

Obwohl es schon fast einundzwanzig Uhr war, war noch genügend auf dem Gelände los. Wenige Meter vor dem Eingang roch man bereits die süßen Sünden, die an verschiedenen Ständen verkauft wurden. Als wir durch den hölzernen Eingangsbogen gingen, rannte fast ein kleines Kind in uns herein, wodurch Jordan leise lachte. Sein raues Lachen war wie Musik in meinen Ohren. Ein Schauer durchlief mich, als eine stärkere Windböhe uns erreichte. Jordans Blick lag auf einem Stand, bei dem Zuckerwatte verkauft wurde. Sanft griff ich nach seinem Handgelenk, um ihn dorthin zu ziehen. Glücklicherweise wehrte er sich nicht, sondern fing an zu Grinsen. Da sich keine Schlange an dem Verkaufsstand befand, konnte ich direkt eine Zuckerwatte bestellen. Jordan wollte bereits bezahlen, aber auch das übernahm ich. Anstatt ihm den Holzstab mit der pinken Wolke aus Zucker zu geben, rupfte ich ein Stück ab, als wir wenige Meter weitergegangen waren.

„Mund auf", forderte ich ihn auf. Erst schaute er mich entgeistert an, aber dann öffnete er willig seinen Mund. „Das schmeckt so gut, obwohl es nur Zucker ist", zufrieden seufzte Jordan. Erneut riss ich ein weiteres Stück ab, um es ihm wieder vor den Mund zu halten.

Da wir zwischen zwei Verkaufständen waren, lehnte er sich mit dem Rücken gegen einen und ließ sich von mir füttern. Immer wieder streiften seine weichen leicht klebrigen Lippen meinen Daumen und Zeigefinger. Bei dem Gefühl fragte ich mich, wie sich seine Lippen auf meinen anfühlen würden. Als das letzte Stück Zuckerwatte in Jordans Mund verschwand, sah er glücklich aus. Seine Wangen waren von der Kälte gerötet, was einen wunderschönen Kontrast zu seiner hellen Haut darstellte.

„Jetzt ist das letzte Stück Müdigkeit auf jeden Fall verflogen", stellte er fest. „Tut mir leid, dass ich dich ein wenig überrumpelt habe. Ich wollte dich überraschen", entschuldigte ich mich. Als ich die Idee für den Besuch auf dem Jahrmarkt hatte, hatte ich gar nicht darüber nachgedacht, dass er nach der Arbeit meist erschöpft war. „Die Überraschung ist dir auf jeden Fall gelungen", sagte er. „Dann komm, lass uns weitergehen", dieses Mal griff ich nicht nach seinem Handgelenk, sondern nach seiner Hand.

Zeit ist GeldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt