Ich sitze mit meinem Bruder in einem französischen Straßencafé. Noch ist es draußen zu frisch, daher haben wir uns drinnen ans Fenster gesetzt. Während ich ein warmes Croissant mit Milchkaffee genieße, trinkt mein kleiner Bruder nur einen Kaffee.
Wir sind in Boston aufgewachsen und haben an der Harvard studiert. Ich habe mein Medizinstudium vor sieben Jahren beendet und arbeite nun im Boston Medical Center in der Allgemeinchirurgie. Mein Bruder hingegen hat vor sieben Jahren sein Pharmazie-Studium abgebrochen. Damals, nach dem tragischen Unfall ...
„Ich bin gerade knapp bei Kasse, Clara", erklärt mein kleiner Bruder und weicht dabei meinem Blick aus. Er hat die hellbraunen Haare und die braunen Augen unseres Vaters, während ich die blonden Haare unserer Mutter habe.
„Was brauchst du diesmal?", frage ich. „Wieder eine Monatsmiete?"
Noah nickt betreten. „Das kannst du doch für mich überweisen, oder?"
Seufzend greife ich nach dem Milchkaffee und bemühe mich um einen neutralen Ton. „Noah, du solltest endlich mit dem Glücksspiel aufhören."
„Aber ich hatte einen echt guten Lauf! Fünf Riesen habe ich gewonnen!"
„Und wo sind die jetzt?"
„Naja, in der letzten Runde bin ich All In gegangen", gibt er leise zu.
„Aber genau das ist doch deren Taktik. Wie viel hast du verloren?"
Mein kleiner Bruder lässt die Schultern hängen und weicht meinem Blick aus. „Zehn..."
„Zehn", wiederhole ich ungläubig, „Noah... Zehn Riesen? Verdammt noch mal!"
„Das hole ich ganz schnell wieder rein, Clara. Mach dir keine Sorgen. Ich brauche wie gesagt nur die Miete. Naja. Und vielleicht noch etwas Geld, um mir was zu essen zu kaufen..."
Ich kann nicht glauben, was ich da höre. Hoffentlich kommt er aus der Sache irgendwie wieder raus. Aber bisher konnte er seinen Kopf immer aus der Schlinge ziehen. „Papa würde sich im Grab umdrehen... Warum ziehst du nicht für eine Weile bei mir ein?", schlage ich vor. „Das Haus ist groß genug."
Noah will gerade etwas erwidern, als wir quietschende Reifen hören und kurz darauf Schüsse fallen. Nicht bloß eine Handvoll ... Es rattert direkt los, wie in einem Actionfilm.
Ich springe sofort unter den Tisch und mache mich ganz klein. Scheiben zerspringen, Schreie ertönen. Und dann realisiere ich, dass die Schüsse zwar in der Nähe waren, aber nicht in dem Café, in dem wir sitzen.
Langsam krabbele ich unter dem Tisch hervor und sehe durch das große Fenster. Direkt gegenüber in der Tapas Bar herrscht das reinste Durcheinander. Menschen laufen panisch und geduckt über die Straße. Zwei Männer liegen vor der Tapas Bar auf dem Boden. Blut breitet sich unter deren Körper aus.
Ohne groß nachzudenken, renne ich aus dem Café und eile über die Straße. Immerhin habe ich einen Eid geschworen! Neben den beiden Männern am Boden gehe ich in die Knie und taste nach deren Puls. Der eine ist tot, der Puls bei dem anderen ist schwach. Viel zu schwach.
„Clara, bist du irre? Was ist, wenn die zurück kommen?", fragt mein Bruder ängstlich neben mir.
„Ruf die Polizei! Und die Feuerwehr, sie sollen schleunigst ein paar RTW her schicken!"
„Du bist doch verrückt!", keucht Noah.
Aber ich höre ihm längst nicht mehr zu. Von drinnen ertönen Schreie. Die Glastür ist komplett zerschossen worden und überall im Eingangsbereich liegen Glasscherben. Vorsichtig betrete ich die Tapas Bar.
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Schuld und schuldig
ActionClara ist Allgemeinchirurgin am Boston Medical Center und liebt ihren Job. Ihr Leben wäre fast perfekt, wäre da nicht ihr spielsüchtiger Bruder, der ein Händchen für Probleme hat. Um ihm zu helfen, würde Clara alles tun. - Wirklich alles? Was, wenn...