Kapitel 23 - Freitag

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Bereits um 10 Uhr klingelt es an der Tür. Ich sitze im Wohnzimmer und blättere in der "New Scientist", als wäre es völlig normal, jetzt abgeholt zu werden.

Die Nacht habe ich kein Auge zu gemacht. Wie auch?

Ich lege die Zeitschrift auf den Tisch, binde die Schuhe noch mal neu und stehe auf. Ein letztes Mal schaue ich mich im Wohnzimmer um. Dann entscheide ich mich spontan dafür, die Zeitschrift mitzunehmen.

Während ich in der Küche kontrolliere, dass der Herd und der Backofen aus sind, klingelt es erneut. Ich ziehe den Stecker der Mikrowelle und vom Wasserkocher, spüle die Tasse ganz in Ruhe aus und gehe dann zur Tür. Bevor es ein drittes Mal klingelt, öffne ich die Tür.

Ein Berg von einem Mann steht vor mir, locker 130 Kilo. Und Fett sehe ich an ihm nicht. Arme so dick wie meine Oberschenkel.

Wortlos ziehe ich den Koffer über die Türschwelle und stellse ihn neben mir ab. Während ich die Haustür abschließe, nimmt der Typ meinen Koffer und geht damit zum Auto.

Ich stecke die Schlüssel in die Handtasche und gehe auf den schwarzen SUV zu, während sich mein Magen zusammen zieht.

Mein Koffer wird in den Kofferraum geschoben. Auch wenn vorne der Beifahrersitz frei ist, ziehe ich es vor, hinten einzusteigen. Scheinbar gelangweilt nehme ich die Zeitschrift auf den Schoß und lese den Artikel weiter.

Das Auto setzt sich in Bewegung und ich werfe einen Blick zurück auf mein Haus. Die Fahrt führt mich rasch in die Elendsviertel von Boston. Dort, wo ich alleine niemals hingehen würde. Die Kinder, die hier aufwachsen, tragen schon mit 10, 12 Jahren eine Waffe.

Obwohl es noch früh am Tag ist, begegnen mir viele junge Menschen, die Alkohol trinken und rauchen. Sicher keine Zigaretten.

Der Wagen hält vor einem unscheinbaren Restaurant. Mir wird die Tür geöffnet und der Fahrer führt mich schweigend in das Restaurant.

Um diese Zeit ist nichts los. Ein paar Kellner putzen Gläser. Die Tische werden eingedeckt. Frische Blumen in Vasen gesteckt.

Es geht weiter durch eine Tür in einen kleinen Saal, vermutlich für private Feiern. Aber auch dieser Raum ist leer. Ich folge dem Mann in den Hof und von dort aus in ein weiteres Gebäude.

Überall sehe ich ein paar Leute, die mich angaffen und mir regelrecht hinterher starren.

Das Gebäude, das ich nun betrete, wirkt baufällig. Ein paar Fenster sind eingeschlagen. Vermutlich ein altes Lager. Nachdem wir durch eine weitere Tür gegangen sind, schlägt mir Lärm entgegen.

Ich sehe eine Gruppe von 20 vielleicht 30 Männern im Kreis stehen. Sie feuern etwas, oder jemanden an.

Mein Begleiter geht weiter und ich folge ihm. Als ich zurückschaue kann ich kurz sehen, dass da wohl zwei Tiere gegeneinander kämpfen. Vögel, wie es aussieht, aber dann ist die Lücke wieder zu.

Es geht einen Raum weiter. Auch hier schlägt mir Lärm entgegen. Der Kreis, den die Männer bilden, ist größer. Aber auch hier sind es maximal 30 Männer.

Zwei Dinge sehe ich sofort. Pablo, der etwas abseits auf einem Stuhl sitzt. Und die Kämpfer sind diesmal zwei Männer.

"Stop.", schallt die Stimme von Pablo durch den Raum.

Sofort werden die Kämpfe unterbrochen und die Männer weichen zurück, bilden eine Art Gasse.

Pablo fixiert mich mit seinen Augen. "Liebes, komm her."

Ich sehe kurz in die Gesichter der Männer rechts und links. Und zwei von ihnen erkenne ich wieder. Sie waren dabei, als ich die 50.000 Dollar übergeben wollte.

Schuld und schuldigWo Geschichten leben. Entdecke jetzt