Kapitel 44 - Die Zecke

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Pablo tritt neben mich, schaut allerdings zum Flur. "Oh, das klingt ja fast so, als wolle er noch nicht schlafen."

Einige Arbeitskollegen haben mir regelrechte Dramen erzählt, wenn es darum ging, das Kind ins Bett zu bringen. Vor allem, wenn es absolut überdreht war. Er hatte auch heute Mittag nicht geschlafen. "Dabei sollte er eigentlich schon fast im Stehen einschlafen können."

Da mein Akku fast leer ist, lasse ich es am Ladekabel, gehe rüber auf die Couch und setze mich.

Auch Pablo setzt sich, direkt neben mir. Allerdings mit etwas Abstand. "Wie findest du Nanice?"

"Sie ist nett. Aber irgendwas frisst sie innerlich auf."

"Meinst du? Sie wirkt auf mich sehr glücklich."

Wieder schreit Álvaro und fängt kurz darauf an zu weinen. Pablo setzt sich aufrecht hin und rutscht auf der Sitzfläche nach vorne. Ob er gerade an seinen Sohn denkt?

Ich seufze leise, gehe wieder rüber zum Handy und schaue auf das Display. Keine Anrufe, keine Nachrichten. Ob das nun gut ist? Lieber ein schlechtes Lebenszeichen von Noah, als gar keines. Ich rufe ihn später am besten mal an. "Man kann glücklich sein und gleichzeitig auch unglücklich."

"Widerspricht sich das nicht?"

"Nein, nicht im geringsten. Wenn du dir ein Auto kaufst, bist du glücklich. Du hättest es vielleicht lieber in einer anderen Farbe gehabt. Oder mehr PS. Trotzdem bist du glücklich."

"Dann kaufe ich mir einfach noch ein Auto, dass die gewünschten PS hat."

Ich schmunzle kurz, bin aber auch gleichzeitig überrascht, wie unwichtig ihm wohl manche Dinge sind. Vor allem Geld. Kein entweder, oder. Er nimmt gleich beides. Koste es, was es wolle. Aber das geht nun mal nicht immer.

"Nein!" Wieder schreit Álvaro aus Leibeskräften. Ich schaue nun doch etwas besorgt zum Flur. Nanice kommt in das Wohnzimmer und lässt sich auf die Couch fallen.

"Was ist los?", fragt Pablo. "Will er nicht schlafen?"

Nanice reibt sich müde über die Stirn. "Er hat eine Zecke. Aber er lässt sie Rubén nicht raus machen. Rubén hatte sie schon fast mit der Pinzette... Aber wir können Álvaro ja nicht festhalten."

"Vielleicht kann Clara helfen."

"Ich nehme jede Hilfe, die ich kriegen kann."

Ich nicke leicht. "Dann komm, zeig mir das Kinderzimmer."

Nanice geht vor und ich folge ihr. Pablo kommt ebenfalls mit und bleibt dicht hinter mir. Im Kinderzimmer liegt Álvaro tränenüberströmt im Bett und hält sich beide Hände vor das rechte Bein. Rubén sitzt auf dem Bett und hält eine kleine Pinzette in der Hand. "Okay, wir können auch warten, bis du schläfst!"

"Nein!", protestiert der Kleine sofort.

Nanice betritt das Zimmer und legt eine Hand auf die Schulter von Rubén. "Rubén?"

Rubén schaut auf und seufzt leise. Er sieht zwischen mir und Pablo hin und her. Dann nickt er nur leicht und steht auf. "Clara... Darauf hätte ich auch kommen können."

"Soll ich es mal probieren?"

"Nur zu." Rubén will mir die Pinzette reichen. Aber ich lehne vorerst ab.

"Hey Álvaro."

Der Kleine straft mich mit Nichtachtung und dreht trotzig das Kinn weg.

"Darf ich mal gucken, was dich da gebissen hat?"

"Nein!"

"Nur gucken. Schau mal, ich leg auch die Hände hinter den Rücken." Demonstrativ hebe ich die Hände und lege sie dann hinter meinen Rücken.

Schuld und schuldigWo Geschichten leben. Entdecke jetzt