Kapitel 45 - Pseudo-Familienessen

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Seufzend reiche ich Pablo die Pinzette. "Kann ich irgendwie die Sache mit deinem Vater umgehen?"

"Als meine Geliebte, ja. Ich würde dich nur vorstellen und mit ihm über die Hochzeit mit einer anderen Frau reden."

"Auch nicht als deine Geliebte. Ich will komplett raus." Bevor er Widerworte geben kann, gehe ich wieder herein, greife nach meinem Smartphone und gehe damit ins Gästezimmer. Ich stelle mich an das Fenster und wähle die Nummer von Noah. Es klingelt tatsächlich nur zwei Mal, ehe er das Gespräch annimmt.

"Clara!", ruft er erleichtert. "Ist alles gut bei dir?", fragt er dann aber doch besorgt.

"Ja, irgendwie schon. Ich bin wieder in den Staaten und bald zurück in Boston. Und wie geht es dir?"

"Ich suche gerade einen Job. Das ist gar nicht so einfach." Er lacht kurz auf. "Etwas wirklich ganz Legales. Ich wollte ja in die Forschung gehen... Und da dachte ich mir, vielleicht irgendein langweiliger Job in einem Labor."

"Das klingt gut. Und so langweilig ist das bestimmt nicht. Kommt ja immer auf das Labor an."

"Ja, ohne Ausbildung und Berufserfahrung ist es schwer, was passendes zu finden."

"Dann mach doch eine Ausbildung."

"Ich bin doch schon 27 und viel zu alt dafür", entgegnet er skeptisch.

"Ach, quatsch. Dafür ist man nicht zu alt. Viele Menschen entscheiden sich dazu, etwas anderes zu machen als das, was sie gelernt haben. Das erstbeste ist nicht immer das, womit man dann glücklich wird."

"Ich habe vorher ja nichts anderes gelernt."

"Ändert aber am Endergebnis nichts. Ob du jetzt Maschinenbau, oder nichts gelernt hast... Das wäre für den Job eh nicht relevant. Außerdem lernst du schnell und hast dich eh schon immer für diese Richtung interessiert."

"Aber diese lange Lücke...", hält er dagegen.

"Trauerbewältigung und Gelegenheitsjobs. Und du machst das ja, weil du das willst und nicht von jemandem in diese Richtung gedrängt wirst. Die Motivation ist eine ganz andere. Das wird man dir anmerken."

Noah seufzt leise. "Ich werde mal mit meinem Therapeuten darüber sprechen."

"Du bist wieder in Therapie?"

"Ja, aber nur zwei Mal die Woche. Diese Klinik war einfach nichts für mich, hat mich eingeengt und ich habe mich gefühlt, als wäre ich abgeschoben worden. Ab zu den Verlierern und Versagern."

"Ach, Noah", entgegne ich leise, aber bestimmt. "Du bist kein Versager."

"Es fühlt sich aber manchmal so an."

"Jeder Mensch hat mit einem inneren Schweinehund zu kämpfen. Das ist völlig normal."

"Wie... Wie geht es dir, Clara? Was will er von dir?"

"Das ist unwichtig, Noah. Konzentriere dich erstmal nur auf dich und deine Zukunft. Finde einen Job, der dir Spaß macht."

"Clara, bitte halte deine Probleme nicht vor mir geheim. Das wirkt dann immer so, als hättest du alles perfekt im Griff."

Ich seufze leise. Vielleicht hat er recht und hat sich in den letzten Jahren dadurch noch schlechter gefühlt. Ich schaue mich kurz um, um sicher zu gehen, dass ich wirklich noch allein im Zimmer bin. "Er will mich heiraten. Oder zumindest mit mir zusammen leben."

"Vor ein paar Tagen hätte ich noch gesagt dass das großartig wäre. Aber der Mann ist gefährlich."

"Er hat dich entführen lassen und nach Afrika geschleppt... Noah, es tut mir so leid, was du durchmachen musstest."

"Auch wenn ich es nur ungern sage... Aber vielleicht war es ganz gut, dass ich mal ordentlich wach gerüttelt wurde. Mach dir keine Sorgen um mich, ok?"

"Wir reden noch mal drüber, wenn ich wieder zurück bin, ja?"

"Alles klar. Es ist ja schon Mittwoch Abend. Nur noch morgen und am Freitag bist du wieder zu Hause."

"Ja. Ich melde mich dann wieder bei dir. Hab dich lieb, Noah."

"Ich hab dich auch lieb, große Schwester. Bis bald."

Ich beende das Gespräch und schaue noch eine Weile auf mein Handy. Es ist tatsächlich schon Mittwoch. Oder erst Mittwoch. Die Tage haben sich viel länger angefühlt. Samstag nach Glenwood Springs, Sonntags im Gleitschirm, dann nach Brasilien, Montag Abend nach Afrika und den Dienstag dort verbracht. Jetzt ist der Mittwoch schon bald vorbei und morgen soll es wohl wieder entspannter werden. Eigentlich bräuchte ich nach dieser Woche mal echten Urlaub. Aber das Wochenende wird reichen müssen. Wie so oft.

Schuld und schuldigWo Geschichten leben. Entdecke jetzt