Kapitel 12 - Baldiger Abschied

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Pablo sieht mich irritiert und mit gerunzelter Stirn an. „Ist alles in Ordnung?"

„Knoblauch!" Ich lächle und lege die Zahnbürste zurück. Dann wasche ich noch mein Gesicht. Morgen habe ich meine 24-Stunden-Schicht. Und dann sollte ich endlich klären, wie lange Pablo meine Gastfreundschaft noch in Anspruch nehmen will.

Das mit Reyes werde ich möglichst bald klären. Diese Dinge darf man nicht auf die lange Bank schieben. Sonst vermittelt es den Eindruck, man würde sich das gefallen lassen. Aber für den Moment möchte ich es einfach nur vergessen, daher wende ich mich Pablo zu. „Also, ich bin langweilig und spießig?"

„Das war in keiner Weise abwertend gemeint. Eher eine Feststellung, dass du bisher so völlig normal rübergekommen bist."

Ich fange kurz an zu lachen. „Auch normale Menschen fahren Motorrad. Da ist nun wirklich nichts dabei."

Seine Augen werden noch ein wenig dunkler und hängen auf meinen Lippen. „Auf dem Motorrad hast du wirklich sexy ausgesehen."

Mir ist gerade nicht nach flirten, also gehe ich an ihm vorbei aus dem Bad in die kleine Bibliothek. Eigentlich habe ich keine Lust, irgendwas zu lesen. Aber dadurch kann ich wenigstens einem Gespräch aus dem Weg gehen, auch wenn das feige ist.

Pablo folgt mir in das kleine Lesezimmer und lehnt sich mit der Schulter an den Türrahmen. „Ich habe übrigens meinen Bruder erreicht. Er holt mich Übermorgen ab."

„Ich muss morgen früh wieder in die Klinik. Allerdings habe ich 24 Stunden Schicht, also von sieben bis sieben. Zwischen acht und zehn Uhr sollte ich wieder da sein."

„Perfekt. Dann können wir zusammen brunchen. Ich werde meinen Bruder Bescheid sagen. Er könnte mich am Nachmittag abholen. Dann hätten wir noch ein paar Stunden."

„Spätestens gegen Mittag, Pablo. Ich werde den Nachmittag verschlafen."

Pablo nickt ernst und sein Blick ruht nachdenklich auf mir. Er unternimmt keinen Versuch mehr, mir näherzukommen und ich frage mich, ob er ahnt, dass mich etwas völlig anderes belastet. „Dann in der Früh. Er könnte mit uns frühstücken und wir reden noch ein wenig. Du wirst Rubén sicher mögen."

Ich nicke leicht und weiche dem forschenden Blick von Pablo aus. „Dann sollte er aber etwas mitbringen. Ich weiß nicht, ob ich es noch schaffe, vorher einzukaufen."

„Das ist kein Problem. Und sobald ich zu Hause bin, kümmere ich mich um meine Angelegenheiten."

Oh, von diesen ominösen Angelegenheiten sprach er bereits und ich frage mich, warum er daraus so ein großes Geheimnis macht. Ich weiß praktisch nichts über ihn. „Und wie lange musst du dich dann um deine Angelegenheiten kümmern? Wann wirst du dich wieder melden?"

„Das kann ich noch nicht genau sagen. Vielleicht zwei Wochen, vielleicht mehr."

Ich unterdrücke ein Seufzen. Vielleicht braucht er die Zeit auch, um sich seiner Gefühle klar zu werden. Auch für ihn ist das alles bestimmt nicht einfach.

Wahllos greife ich nach einem medizinischen Fachbuch und drücke es gegen meinen Bauch.

Wir gehen zusammen runter ins Wohnzimmer und Pablo nimmt wie selbstverständlich das Buch, das er die letzten Tage angefangen hat zu lesen.

Der baldige Abschied hat eine Mauer zwischen uns errichtet. Oder ich bilde es mir bloß ein. Vielleicht habe ich selbst auch nur das Gefühl, weil ich mich nach der Sache mit Reyes abgrenze. Ich schaue von dem Buch auf und sehe zu Pablo.

Völlig entspannt sitzt er da, schaut über das Buch hinweg in den Garten und denkt vermutlich an die nächsten Wochen. Vielleicht auch an die nächsten Monate. Bin ich Teil seiner Überlegungen? Plant er im Geiste schon seine Zukunft mit mir? Er wirkt so verträumt und seine Augen sind ganz weich. Das harte, ernste Gesicht, das er zuweilen hat, ist komplett verschwunden. Ein leichtes Lächeln umspielt seine Lippen.

Schuld und schuldigWo Geschichten leben. Entdecke jetzt