Kapitel 22 - Die Tage bis Freitag

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Die nächsten Tage bin ich damit beschäftigt, vor der Arbeit noch den ganzen Papierkram zu erledigen. Die Beerdigung wird am Samstag im kleinen Kreis stattfinden. Meine restliche Verwandtschaft habe ich informiert und zur Trauerrede eingeladen.

Nach der Grabrede werde ich nichts machen. Ich habe keine Lust, die Verwandtschaft danach in meinem Haus zu bewirten. Auch, wenn wieder böse Zungen behaupten werden, ich hätte kein Geld. Dabei ist es die Familie oder ihr Gerede, das mich abhält. Und der Punkt, dass wir uns nie besonders nahe standen.

Das Gespräch mit Einar lief überraschend positiv und er hat tatsächlich seine Kündigung zurückgezogen. Die nächste Woche werde ichwieder mit ihm zusammen arbeiten.

Einar verlässt gerade das Büro von Reyes und ich erhebe mich ebenfalls. Die Sache ist ja nun geklärt.

Allerdings hebt Reyes die Hand. "Einen Moment noch, Swift. Wegen ihres Urlaubs..."

Die Tür fällt zu und ich atme tief durch. Mein Urlaub war vorhin im Gespräch mit Einar kein Problem gewesen. Was gibt es denn jetzt noch zu klären? "Ich dachte, der ist genehmigt."

"Wann ist die Beisetzung?"

"Morgen", antworte ich knapp.

"Warum dann erst nächste Woche der Urlaub?"

Weil ich die nächste Woche am liebsten vergessen möchte. Das, was kommen wird... Aber davon kann ich Reyes nichts erzählen. "Ich habe Spätschicht. Morgens kümmere ich mich um den ganzen Kram und schicke nächste Woche noch die letzten Briefe raus. Ich möchte im Urlaub einfach abschalten... vielleicht verreisen. Bis dahin will alles erledigt haben."

"Dann hoffe ich, Sie können sich wirklich erholen. Der Unfall vor sieben Jahren war wirklich sehr tragisch." Seine Stimme wird plötzlich ungewohnt einfühlsam und er lehnt sich mit dem Oberkörper etwas über den Tisch.

"Nicht", erwidere ich sofort und merke, dass meine Stimme bricht. Also räuspere mich kurz. "Ich will nicht darüber reden."

"Warum sperren Sie sich so sehr dagegen, Clara?"

Oh Gott, jetzt nennt er mich schon bei meinem Vornamen! "Ich entscheide selbst, wie ich mit meiner Trauer umgehe."

"Ich meine eher das, was zwischen uns ist."

"Uns?" Mir bleibt kurz die Spucke weg und ich muss mich zusammenreißen, um nicht zu explodieren. "Reyes, wie oft noch?"

"Sie halten mich für einen Sexisten." Keine Frage, sondern eine Feststellung. Und er wirkt sogar enttäuscht darüber.

"Ja, da war mal diese Situation, in der Sie mich bedrängt haben. Schon vergessen?"

"Swift, Sie sind die Einzige, die sich bisher quer gestellt hat."

"Was bedauerlich ist!"

"Dann glauben Sie den Gerüchten?"

Ich atme tief durch und mahnen mich zur Vernunft. Immerhin habe ich Einar erst frisch zurück geholt und habe keine Lust, mich nach einer anderen Klinik umzusehen.

Allerdings redet der Chefarzt schon weiter und lehnt sich dabei in seinem Stuhl zurück. "Gefälligkeiten gegen Sex. Nichts anderes."

"Gefälligkeiten?"

"Die jungen Assis kommen zu mir und bieten sich regelrecht an. Welcher Mann würde da nicht zugreifen? Ich gebe Ratschläge, Tipps, helfe bei Beförderungen und Versetzungen... Nichts ist umsonst heutzutage."

"Und die ganzen Kündigungen?"

"Waren abgesprochen. Ich habe sie alle weiter vermittelt an andere Krankenhäuser. Viele sind nur wegen Harvard hier in Boston geblieben und haben in der Nähe in ihrer Heimat bei der Familie einen Job gesucht", erklärt Reyes nüchtern.

Schuld und schuldigWo Geschichten leben. Entdecke jetzt