"Heute Abend müssen wir noch mal los. Dabei hatte ich eigentlich ganz andere Dinge mit dir vor."
Ich lege die Gabel bei Seite und wische mir mit der Serviette über den Mund. Da ei versuche ich, möglichst gelassen zu wirken. "Wann?"
"In zwei, drei Stunden."
Ich nicke leicht. "Dann kann ich ja noch etwas schlafen.
Pablo steht auf und schiebt dabei seinen Stuhl nach hinten. "Ich zeig dir das Schlafzimmer, dann kannst du dich ins Bett legen."
Bett...! Nein, danke! Nicht, dass er dann wirklich noch auf doofe Gedanken kommt. "Couch reicht völlig." Ich stehe auf und greife nach meinem Teller, um ihn in die Küche zu bringen.
Aber Pablo nimmt ihn mir ab und stellt den Teller wieder auf den Tisch. "Dafür ist das Personal da."
"Es ist nur ein Teller", entgegne ich. Trotzdem lasse ich den Teller stehen. Wegen solch einer Lapalie werde ich keinen Streit suchen. Aber ich nehme mir vor, in einer ruhigen Minute die Küche zu durchsuchen. Vielleicht will er nicht, dass ich dort etwas sehe.
Ich gehe um den Tisch herum zurück zur Couch. Wieder setzt sich Pablo dazu. Er legt die Füße hoch und zieht mich ran, sodass ich mit dem Rücken halb auf seinem Oberkörper liege und mein Kopf auf seiner Brust ruht. Einen Arm legt er um mich herum, sodass sein Unterarm auf meinem Bauch ruht.
Da ich viel zu müde bin, um zu protestieren, lasse ich es einfach. Ich will auch gerade keine Auseinandersetzung. Und da Pablo den Fernseher ein schaltet - immerhin macht er den Ton aus und blendet die Untertitel ein - ist mir seine Nähe aktuell egal. Er ist abgelenkt und ich kann noch ein wenig schlafen.
Allerdings schlafe ich unruhig. Ich träume von dämeiner Mutter, die im Krankenhaus liegt und mir sagt, dass ich nicht für Noah da gewesen bin. Und Noah liegt plötzlich daneben, mit einem Messer im Hals. Wieder sagt mir deine Mutter, dass sie alle noch leben könnten.
Mit einem Aufschrei schrecke ich hoch und setze mich kerzengerade auf.
"Ist alles ok?", fragt Pablo. Und er lässt sogar die Finger von mir.
"Wo ist das Bad?"
"Am Flur rechts, vor der Küche."
Ich springe schon fast auf und gehe sofort in das Badezimmer, drehe den Wasserhahn auf und wasche mir das Gesicht, sowie den Nacken.
"Was ist mit deiner Mutter?", fragt Pablo.
"Nichts", entgegne ich abblockend.
Pablo steht in der Tür. Ich kann seinen bohrenden Blick im Spiegel sehen.
Schnell drehe ich den Wasserhahn zu, trockne mein Gesicht ab und hänge das Handtuch zurück. Ich zittere dabei so stark, dass ich schnell die Hände wieder auf das Waschbecken lege.
"Du hast im Schlaf geredet."
Oh Gott... Was habe ich gesagt? Dass ich nicht wollte, dass Papa stirbt? Dass ich mich im Jahr nach Papas Tod nicht um Noah gekümmert habe? Meine Schuldgefühle haben mich lange begleitet und innerlich fast aufgefressen. Mit dem Tod meiner Mutter kommt nun alles wieder hoch.
Prüfend schaue ich in den Spiegel. Alles in mir sperrt sie h dagegen, mit Pablo über meine Gefühle zu reden. Und dennoch... "Meine Mutter ist gestorben. Die Beerdigung war letzten Samstag."
"Ich dachte, deine Eltern sind vor sieben Jahren gestorben."
"Sind sie auch. Meine Mutter hat nicht mehr wirklich gelebt... Körperlich war sie vielleicht noch da..." Ich hole tief Luft und nehme langsam die Hände vom Waschbecken. Sie zittern nicht mehr. Den Kloß im Hals schlucke ich schnell runter und drehe mich um, weil ich an Pablo vorbeigehen will.
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Schuld und schuldig
ActionClara ist Allgemeinchirurgin am Boston Medical Center und liebt ihren Job. Ihr Leben wäre fast perfekt, wäre da nicht ihr spielsüchtiger Bruder, der ein Händchen für Probleme hat. Um ihm zu helfen, würde Clara alles tun. - Wirklich alles? Was, wenn...