Kapitel 9 - Verlust

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Obwohl ich eigentlich nur noch nach Hause will, mache ich noch den Umweg über das Fitnessstudio. Am besten treffe ich mich demnächst mal mit Mary außerhalb vom Krankenhaus und spreche mit ihr über mein Problem. Sie hat einen besseren Draht zu den Assistenzärzten und kann sich mal umhören, wer zuletzt das Opfer von Reyes war.

Sauna kneife ich mir heute und nehme nur die heiße Dusche nach dem Workout. Zu Hause sehe ich zuerst im Garten nach Pablo, aber dort ist er diesmal nicht. Nachdem er unten nirgends ist, gehe du die Treppen hoch.

Pablo kommt genau in dem Moment aus der kleinen Bibliothek. Er lächelt breit, als er mich sieht und seine Augen strahlen dabei. „Musstest du wieder Überstunden machen?"

„Oh, ich war noch im Studio nach der Arbeit", erwidere ich. „Ich hätte anrufen können."

„Ach was. Aber das Telefon hat tatsächlich geklingelt. Aber er hat auf das Band gesprochen."

Er? Hoffentlich nicht Noah, der wieder nach Geld fragt. Er ist der eigentliche Grund, warum ich schon ewig keine Beziehung mehr hatte. Neben dem Verlust deiner Eltern natürlich. Aber ein Bruder, der ständig Geldsorgen hat, ist ein echtes Problem. Ich muss unbedingt noch mal mit ihm über eine Therapie reden.

„Oh. Wer?" Ich gebe mich so, als wäre alles in Ordnung. Wenn Pablo die Sache mit mir wirklich ernst ist, dann wäre es richtig, richtig blöd, wenn ausgerechnet Noah der Keil zwischen uns wird. Das würde die Beziehung beenden, bevor sie überhaupt so richtig angefangen hat.

Pablo hebt leicht die Schultern. „Ich weiß es nicht. Ich war im Garten und habe nur am Ende gehört, dass du zurückrufen sollst. Aber der Stimme nach war es dein Bruder."

„Danke, dann höre ich gleich mal das Band ab." Hoffentlich war Pablo wirklich im Garten. Und mit viel Glück hat sich Noah am Telefon kurz gehalten. Ich gehe die Treppe runter und sehe das rote Lämpchen am Telefon, das immer wieder aufblinkt. Aber ich kann mich nicht überwinden, auf den Knopf zu drücken.

Pablo räuspert sich kurz. „Ist alles ok?"

Sofort nicke ich knapp und schenke ihm ein Lächeln. „Ja, sicher."

„Ich bin draußen im Garten."

„Danke." Sicherlich spürt er, dass ich gerade meine Privatsphäre brauche. Er lässt mich alleine und ich schaue ihm nach. Erst, als er wirklich draußen ist, starte ich die Aufnahme.
Sofort plärrt die Stimme von Noah aus dem Anrufbeantworter: „Hey Clara. Können wir uns noch mal treffen? Morgen? Und keine Sorge, es ist nicht das, was du glaubst. Also, ruf einfach zurück, sobald du da bist, ja?"

Ich lösche die Aufnahme und wähle seine Nummer. Natürlich geht er diesmal nicht dran. Also spreche ich kurz angebunden auf seinen Anrufbeantworter, dass ich morgen ab 16 Uhr zu Hause sein sollte. Er könne gerne vorbeikommen.

Danach gehe ich ebenfalls raus in den Garten.

Pablo sitzt wieder am Teich und er lächelt mich warm an, als er mich sieht.

Ich setze mich zu ihm. „Mein Bruder kommt morgen wahrscheinlich zu Besuch. Falls ich um 16 Uhr noch nicht da bin, kannst du ihm dann die Tür öffnen?"

„Ja, natürlich. Dein Bruder hat keinen Schlüssel?"

Ich seufze tief. Noah würde mir das Haus leerräumen. Und dann noch das Haus verkaufen. Aber das kann ich Pablo natürlich nicht sagen. So ganz ehrlich bin ich zu ihm nicht. Wie kann ich erwarten, dass er mir alles sagt? Andererseits wurde er mitten in der Stadt in einer Tapas-Bar angeschossen. Wenn er Probleme hat, dann sind sie weitaus größer als die von mir und Noah. Wobei ich mir bei den Geldproblemen von Noah nicht mal sicher bin, ob er nicht auch eines Tages am helllichten Tag erschossen wird, weil er seine Schulden nicht zurückzahlen kann.

Schuld und schuldigWo Geschichten leben. Entdecke jetzt