Zurück am Weg zum Haus nehme ich die Turnschuhe und halte sie an den Schnürsenkeln fest. Der Tag ist herrlich. Nicht eine Wolke am Himmel.
Kurz vor dem Haus bleibe ich stehen. Die Strandseite ist noch größer und beeindruckender, als von der Einfahrt aus. Das Schlafzimmer hat einen großen Balkon, wie ich sehen kann. Ebenso ein weiteres Zimmer darüber.
Rechts neben dem Haus ist der Essbereich, der nach drinnen zur Essecke führt. Davor ist die runde Sitzecke, die ins Wohnzimmer führt. Die Terrasse um die Ecke ist herrlich und das Meer ist eine angenehme Geräuschkulisse.
Pablo zieht mir an dem großen Tisch auf der Terrasse einen Stuhl zurück und ich setze mich. Während er sich mir gegenüber setzt, kommt die Haushälterin und fragt nach, was wir trinken möchten.
Wie so oft, nehme ich einen Tee, während Pablo Kaffee vorzieht.
"Pablo. Was ist damals passiert? Mit deiner Frau und deinem Sohn?"
Nach dem, was Pablo mir erzählt hatte, bin ich davon ausgegangen, dass die Ehe nach dem Tod von ihrem gemeinsamen Sohn in die Brüche ging. Aber nun, nach dem Gespräch von gestern weiß ich, dass Pablo nicht geschieden ist, sondern Witwer.
Die Getränke werden gebracht und Pablo schiebt seine Tasse etwas hin und her. "Das ist eine lange Geschichte..."
Ich sehe ihn schweigend an. Einerseits will ich ihn besser verstehen. Andererseits möchte ich nicht alles von ihm wissen. Und vielleicht ist es besser, wenn ich gerade diese schmerzhafte Seite von ihm nicht kenne.
Allerdings fängt Pablo zu meiner Überraschung an zu reden. "An der Westküste gibt es eine einflussreiche Familie, die Mason's. Ihre älteste Tochter war mir versprochen. Als sie 18 wurde gab es eine große Feier und es sollte auch direkt die Verlobung bekannt gegeben werden." Pablo greift nach der Tasse und trinkt einen Schluck Kaffee." Allerdings hat sie den ganzen Abend mit meinem Bruder Rubén geflirtet und am Ende ging ich leer aus. Ich gebe zu, dass ich mich all die Jahre an dieses Versprechen zwischen den beiden Familien hielt und daher viele Beziehungen im Keim erstickt habe."
Pablo macht eine kurze Pause und sieht mich kurz an, bevor sein Blick an mir vorbei geht. "Ich war fast 30 und hatte vorher so einige Frauen. Aber ich wollte, dass Veronica die Frau an meiner Seite wird. Nur, um am Ende zu sehen, dass mein Bruder sie am Altar geheiratet hat."
Ich lasse Pablo reden und trinke immer wieder etwas Tee. Das Frühstück wird gebracht. Rührei, Speck und Würstchen. Aber keiner von uns beiden isst etwas.
"Auf deren Hochzeit habe ich Vanessa kennengelernt. Eine hübsche junge Frau. Aus nicht ganz so guter Familie. Aber sie wich den ganzen Abend nicht von meiner Seite und kurz darauf haben wir geheiratet. Vanessa war tatsächlich noch Jungfrau... Und ich war betrunken und fühlte mich verschmäht." Pablo seufzt tief und ich erkenne einen Schatten, der sich über seine Augen legt. Kummer.
Als er weiterspricht ist seine Stimme deutlich belegte. "Vanessa war nur ein Ersatz, weil Veronica mich nicht haben wollte. Und ich habe es Vanessa zu jeder Zeit spüren lassen. Ich konnte Rubén keinen Vorwurf machen, immerhin hatte Veronica nur auf den Altersunterschied geachtet. Ich war ihr zu alt."
Pablo schweigt lange und schaut auf die Tasse, trinkt etwas Kaffee und richtet dann den Blick auf mich. "Vanessa wurde schwanger, Veronica nicht. Dann war irgendwann die Zeit, in der ich angefangen habe, mich wirklich für Vanessa zu interessieren. Und für das Baby."
Er stockt und Tränen benetzen seine Augen, die er sofort wegblinzelt. "Als mein kleiner Juan dann endlich auf der Welt war, konnte ich mein Glück kaum fassen. Ein kleiner Stammhalter. Und ich war auch irgendwie zutiefst zufrieden, dass Veronica immer noch nicht schwanger wurde."
Der Kaffee ist schon längst ausgetrunken. Dennoch hält Pablo die Tasse weiterhin fest. "Vanessa hatte es nicht leicht, die Milch wollte nicht so ganz, sie hatte Probleme mit dem stillen. Meine Eltern wollten unbedingt, dass das Kind gestillt wird. Es gab viel Streit und Vanessa konnte Juan nach wenigen Wochen schon nicht mehr sehen. Ich habe mir nichts dabei gedacht. Als frisch gebackener Vater war ich glücklich. Und Vanessa..."
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Schuld und schuldig
ActionClara ist Allgemeinchirurgin am Boston Medical Center und liebt ihren Job. Ihr Leben wäre fast perfekt, wäre da nicht ihr spielsüchtiger Bruder, der ein Händchen für Probleme hat. Um ihm zu helfen, würde Clara alles tun. - Wirklich alles? Was, wenn...