Ich gehe wieder hinein und sehe nach den Patienten. Einige von ihnen sind zwischendurch mal wach geworden. Bald werden sie alle wach sein und starke Schmerzen haben. Daher suche ich in den Schränken nach Schmerzmitteln. Aber Medizin finde ich keine.
Das OP-Besteck wird von mir noch einmal gründlich gereinigt, bevor ich es wieder in den Schrank einräume. Dann sehe ich mir jeden Patienten gründlich an. Der Puls ist bei den meisten stabil. Aber eigentlich kann ich unter diesen Umständen nichts für sie machen.
Die Tür wird geöffnet und Pablo kommt herein. Er hat dunkle Ringe unter den Augen uns sieht müde aus. "Du bist ja immer noch hier."
"Ja, natürlich. Gibt es hier Schmerzmittel für die Männer?"
"Ich frage nachher mal nach. Komm mit."
"Wohin?", frage ich skeptisch. Gibt es weitere Männer, die ich operieren muss? Ein anderer Notfall?
"Es gibt eine Dusche hier. Nicht ganz so komfortabel wie in einem Hotel, aber es wird reichen."
Ich zögere kurz. Eigentlich wäre eine Dusche jetzt perfekt. Aber der gestrige Abend hat mich nachdenklich gemacht. Vor allem die Worte von Veronica schwirren immer noch in meinem Kopf.
"Was ist los?", fragt Pablo, weil ich nicht sofort auf ihn zu gehe.
"Hast du mir jemals Drogen gegeben? Im Essen, oder in einem Getränk?"
Pablo sieht ehrlich bestürzt aus, dass ich ihm diese Frage stelle. Er geht noch einen Schritt auf mich zu, bis er direkt vor mir steht. Aber ich weiche nicht aus, sondern sehe ihm direkt in die Augen. Würde ich es erkennen, wenn er mich anlügt?
"Nein. Keine Drogen. Das würde ich bei dir nie machen, Clara." Er legt die Arme um mich und drückt mich fest. Mit einer Hand streichelt er über meinen Rücken. Immer wieder küsst er leicht meine Stirn.
"Was passiert nach dieser Woche, Pablo?"
"Das kommt ganz darauf an, ob du den Test bestehst."
"Welchen Test?", frage ich, obwohl ich die Antwort eigentlich gar nicht wissen will. "Und wenn ich diesen Test nicht bestehe?"
"Ich weiß es nicht...", antwortet er zögernd und ich merke, dass er sich ein wenig versteift.
Ich löse mich von ihm und gehe einen Schritt zurück, um in besser ansehen zu können. Sein Blick ist unentschlossen und ich erkenne Schmerz darin. "Sei ehrlich zu mir, Pablo. Wenn ich durchfalle, bin ich wertlos, nicht wahr? Wirst du mich dann töten?"
"Das ist nicht mehr so einfach, Clara."
"Denkst du, für mich ist es einfach? Was ist dann mit meinem Bruder?"
"Ich habe dir schon mal gesagt, dass er mir egal ist."
"Und trotzdem erpresst du mich! Gott, Pablo...", ich unterbreche mich, als ich merke, dass ich lauter geworden bin. "Was erwartest du von mir?"
"Genau das, was ich in Boston zu dir gesagt habe. Du sollst mich kennenlernen. Jede Seite an mir."
"Und dann?"
"Dann heiraten wir", erwidert er nüchtern, mit dunklen, leidenschaftlichen Augen und seine Stimme lässt mich kurz erschauern.
"Ich kann dich nicht heiraten", antworte ich schnell, obwohl mich seine Präsenz wieder einzunehmen droht. "Das geht nicht. Das passt nicht. Ich bin Ärztin! Ich kann nicht mit... mit jemandem wie dir zusammen leben!"
"Ich liebe dich, Clara."
Mein Herz steht einen Augenblick lang still, nur um danach beinahe doppelt so schnell zu schlagen. Mein verräterisches Herz, das ihn so sehr liebt. Aber ich darf meinen Gefühlen nicht nachgeben. "Du weißt doch gar nicht, was Liebe ist!"
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Schuld und schuldig
ActionClara ist Allgemeinchirurgin am Boston Medical Center und liebt ihren Job. Ihr Leben wäre fast perfekt, wäre da nicht ihr spielsüchtiger Bruder, der ein Händchen für Probleme hat. Um ihm zu helfen, würde Clara alles tun. - Wirklich alles? Was, wenn...