Wortlos hat Pablo mich in eine Umarmung gezogen und mich gehalten. Diese Art von Geborgenheit hat mir so sehr gefehlt und ich wusste es all die Jahre nicht mal. Er entschuldigt sich mehrmals für seinen Fehltritt. Es war nicht so gemeint, es tut ihm wirklich über alles leid. Und ich kann ihm verzeihen. In Schmerz und Trauer rutschen oft die falschen Worte heraus. Ich kenne es selbst und habe das im Krankenhaus schon so oft beobachtet.
Später am Abend sitzen wir zusammen auf der Couch. Wir haben wieder etwas bestellt und nebenbei einen Film geschaut. Das Gespräch über Juan, dieser seltsame Streit danach, aber vor allem das gegenseitige Trostspenden danach; das hat definitiv etwas zwischen uns verändert. Positiv verändert.
Auf diese Weise habe ich eine neue Seite an Pablo kennengelernt. Eine verletzliche Seite.
Wir sind beide nur Menschen, mit Stärken und Schwächen. Jeder hat sein Päckchen zu tragen und seine eigenen Probleme. Aber wir können einander helfen, das Gewicht der Probleme des anderen ein wenig zu reduzieren und Erträglicher zu machen.Was auch immer er aktuell für Probleme hat, ich werde sicherlich damit leben können. Und wenn Noah erst einmal in Behandlung ist, dann werde ich meine Probleme auch in den Griff kriegen.
Pablo zieht mich etwas näher heran und ich lehne mich an ihn, schließe die Augen und lächle.
Es ist ein Stück heile Welt zu diesen trostlosen Zeiten. Und nach all den Jahren bin ich wieder optimistisch. Für den Moment bin ich gewillt, Pablo eine Chance zu geben, auch wenn er mir in vielen Punkten immer noch Rätsel aufgibt.
Ob er noch mal mit seiner Schwester telefoniert hat? Wird er noch lange meine Gastfreundschaft in Anspruch nehmen? Aber ich spüre, dass er bald in seine Welt muss, sich um seine Dinge kümmern muss. Was immer das auch ist.
Was macht er beruflich? Er macht ein großes Geheimnis daraus. Pablo ist wie ein Buch mit sieben Siegeln. Spekuliert er an der Börse? Oder ist es ein kleiner, unwichtiger Job? Vielleicht schämt er sich dafür, weil ich Ärztin bin. Das kann sicher am Ego eines Mannes kratzen, wenn die Frau erfolgreicher ist und mehr verdient.
Aber ich hätte kein Problem damit. Selbst wenn er Verkäufer in einem Supermarkt ist und Stunden an der Kasse steht. Es ist ein ehrlicher Job und nur das zählt.
...
Am nächsten Morgen mache ich mich leise fertig und verlasse das Haus, ohne Pablo zu wecken. Soll er ausschlafen. Wenn es für ihn Urlaub ist, dann gehört das definitiv dazu.
Im Krankenhaus merken alle sofort, dass Reyes heute mit dem falschen Fuß aufgestanden ist. Er ist extrem leicht reizbar und die Assistenten werfen sich nervöse Blicke zu.
Nach der Besprechung schnappe ich mir sofort Mary und ziehe sie bei Seite, schaust mich mehrmals um und spreche ganz leise zu ihr. „Reyes hat mich zum Essen eingeladen."
Meiner besten Freundin klappt die Kinnlade runter. „Oh! Mein! Gott!"
„Shht shht shht! Mary, sei leise. Bitte!"
„Was hast du gesagt?"
„Das es gerade nicht ginge. Mein Bruder sei da... Familiäre Probleme und so."
„Und was hat der alte Hengst gesagt?", hakt Mary nach und zieht die Augenbrauen leicht hoch.
„Er hat gefragt, ob ich Urlaub brauche. Er könne mir sofort ein oder zwei Tage genehmigen."
„Scheiße. Was wirst du jetzt tun?"
„Ich weiß es nicht", erwidere ich seufzend und reibe kurz über meine Stirn. „Wen hatte er zuletzt?"
„Cynthia. Die Kleine mit den grünen Augen. Sie war immerhin zwei Mal mit ihm aus."
„Ist sie nicht seit zwei Wochen krank?"
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Schuld und schuldig
ActionClara ist Allgemeinchirurgin am Boston Medical Center und liebt ihren Job. Ihr Leben wäre fast perfekt, wäre da nicht ihr spielsüchtiger Bruder, der ein Händchen für Probleme hat. Um ihm zu helfen, würde Clara alles tun. - Wirklich alles? Was, wenn...