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Endlich. Mit Sorge hatten alle auf den Wetterbericht geblickt. Regen war vorausgesagt worden und auch der Himmel sah nicht erfreulich aus. Unter den Tribünen waren Stangen und Planen versteckt worden. Hätten sich die dicken Wolken, die sich träge über den Himmel schoben, entschlossen abzuregnen, hätte man ganz schnell die Tribünen überdachen können. Die Spieler selbst spielten Kreisball nicht zum ersten Mal in strömendem Regen.

Zwar machte der Regen Boden und Ball glitschig und unberechenbar und alle Spiele sahen hinterher aus wie Schweine, die sich im Schlamm suhlten, aber die meisten von ihnen waren Wölfe und hatten kein Problem mit schlechtem Wetter. Doch sie hatten Glück, denn der Regen blieb aus. Allenfalls ein paar Tröpfchen fanden ihren Weg zur Erde. Doch es reichte nicht, um die Erde zu befeuchten. Alle atmeten auf, als am frühen Morgen sogar einige blaue Flecken am Himmel zu entdecken waren. Sie würden also ihr Fest feiern können, vielleicht gegen später sogar noch mit Sonnenschein.

Seit dem Morgen war die ganze Schule auf den Beinen. Die Pavillons mussten noch geschmückt und Tische und Stühle mussten aufgestellt werden. Diese Arbeiten hatte man wegen der unsicheren Wetterlage auf den letzten Moment verschoben. Während die einen noch mit Dekorationsarbeiten beschäftigt waren, trugen die anderen bereits Speis und Trank zum Buffet im langen Pavillon.

Die teilnehmenden Mannschaften bereiteten sich in der Sporthalle der Schule vor. Und die Mitglieder der Schulleitung begrüßten die Gäste in der Aula, luden sie ein, zunächst die kleine Ausstellung zu bestaunen bevor sie ihre Gäste zu den für sie vorbereiteten Tribünen begleiteten.

Für Tonya war es nun höchste Zeit, sich zurückzuziehen. Sie verschwand in der Schulküche. Melli hielt erstaunt in ihrer Arbeit inne und blickte ihre Tochter fragend an. Tonya freiwillig in der Küche? Melli glaubte die Antwort zu wissen, aber sie sagte nichts dazu, sondern wies ihrer Tochter eine Aufgabe zu. Sie staunte allerdings noch mehr, als Tonya ohne zu murren, in das Spülbecken unter dem Fenster heißes Wasser einlaufen ließ und mit dem Abwasch begann.

Tonya ließ sich Zeit. Schließlich dauerte der Nachmittag noch einige Stunden und sie hatte sich vorgenommen, diese in sicherer Entfernung zum Sportplatz zu verbringen. Vom Fenster aus konnte sie den Sportplatz ja beobachten und sehen, wie sich die Reihen um das Spielfeld füllten. Sie konnte auch die Gruppen der Gäste sehen, die festlich gekleidet in Begleitung eines Lehrers zu ihren reservierten Plätzen geführt wurden. Nun ja, die Gesichter der Gäste sah sie nicht, denn sie konnte die Gruppen nur von hinten beobachten und nur so lange sie auf dem Weg vom Schulgebäude weg zum Sportplatz gingen. Dort verloren sie sich in der Menschenmenge, die sich bereits eingefunden hatte und auf den Beginn des Festes wartete. Doch Tonya reichte, was sie sehen konnte und sie entschied sich, hier bis zum Ende des Festes zu bleiben.

Melli war allerdings nicht damit einverstanden. Als der große Gong erklang, der das Fest eröffnete, schob sie ihre Tochter durch die Türen hinaus auf den Hof.

„Papa und die Jungs haben einen Platz für uns reserviert", sagte sie und zog Tonya hinter sich her zum Sportplatz.

„Stopp Mama, ich muss meinem Team noch unbedingt was sagen", flunkerte Tonya und zeigte zu den Umkleideräumen hinüber.

„Ok", nickte Melli, unschlüssig, ob sie ihrer Tochter glauben sollte oder nicht. „Und dann kommst du rüber. Wir sitzen zwischen den Besuchern vom Krippster- und vom Schwarzsee-Rudel. Verstanden?"

Doch Tonya hatte sich schon umgedreht und war losgelaufen. Sie floh hinüber zu dem langen Gebäude neben dem Sportplatz, in dem die Duschen und Umkleideräumen für die Mannschaften untergebracht waren. Das Gebäude war nun leer. Die Mannschaften standen bereits auf dem Sportplatz und warteten auf den Beginn des Turniers. Schon knackte es im Lautsprecher und gleich darauf ertönte die Stimme ihres Schulleiters Herr Frommer.

Eigentlich mochte Tonya den Schulleiter ganz gerne. Er war zwar sehr dominant, aber er war gerecht. Sie hatte schon ein paarmal vor ihm gestanden, wenn sie mal wieder einem der Jungs aus ihrer Klasse empfindlich eine auf die Nase gegeben hatte. Noch nie hatte Tonya ihre Hand gegen ein Mädchen erhoben, das war unter ihrer Würde, aber es gab einige Jungs, die schmerzhaft lernen mussten, ihr dämliches Mundwerk Mädchen gegenüber im Zaum zu halten. Bisher hatte sie nie eine Strafe bekommen, denn schließlich hatte sie sich immer nur schützend vor Schwächere gestellt.

Jetzt aber verdrehte sie genervt die Augen, während sie seinen salbungsvollen Worten lauschte, mit denen er ihre Gäste auf das herzlichste willkommen hieß. Schleimbeutel, dachte sie, während sie sich entspannt an das Umkleidegebäude lehnte. Niemand beachtete sie, denn alle Augen waren auf die Tribüne gerichtet, auf der der Schulleiter neben den besonderen Gästen stand. Tonya konnte die Tribüne nicht sehen, denn vor ihr standen mehrere Reihen von Zuschauer. Gut so. So war auch sie nicht zu sehen.

Dann war Alpha Norman an der Reihe. Seine Worte waren wohlwollend und freundliche formuliert. Seine dunkle und harte Stimme aber würde selbst das größte Kompliment eher wie ein Todesurteil klingen lassen. Tonya mochte ihn nicht. Er klang nicht nur hart und brutal, sie hatte auch schon mehrere Male gehört, dass er auch so handelte. Sein Wille zählte, genauer, NUR sein Wille zählte. Wer sich dagegen stellte, musste mit harten Strafen rechnen, vielleicht sogar damit, sein Leben zu verlieren, oder aus dem Rudel ausgestoßen zu werden. Sie konnte nicht verstehen, dass die Mondgöttin sogar für so einen arroganten und hartherzigen Mann eine Gefährtin bestimmt hatte. Keine Frau hatte so einen Mann verdient.

Gerade stellte der alte Alpha mit knappen Worten seinen Sohn Hendrik vor, der ab jetzt die Geschicke des Rudels leiten würde. Sein Sohn sei noch jung und er habe noch zu wenig Erfahrung in der Führung eines so großen Rudels, erklärte er. Deshalb würde er selbst ihm noch eine Zeitlang beratend zur Seite stehen, bevor er sich endgültig zurückziehen und das Zepter übergeben würde. Im Klartext, Alpha Norman war nach wie vor der Alpha, der seinen Sohn ein bisschen Boss spielen ließ ohne dabei die Zügel wirklich aus der Hand zu geben.

Ein Raunen ging durch die Zuschauer. Dann erklang die Stimme des jungen Alphas. Sie klang ebenfalls dunkel und sie klang seltsam rau, aber sie hatte nicht den kalten harten Klang seines Vaters. Trotzdem klang er nicht so, als würde er sich über seine neue Position freuen.

Auch er begrüßte die Anwesenden mit freundlichen Worten und klang dabei glaubwürdiger wie der alte Alpha. Er fasste sich kurz, den Göttern sei Dank, und übergab das Mikrofon an Herrn Dunning, der nun kurz Simon vorstellte.

Tonya stand immer noch bei den Umkleideräumen und lauschte. Sie lächelte. Simon machte das gut und seine Stimme klang sicher und stolz. Zunächst beschrieb er das Spielfeld, dann stellte er die Mannschaften vor. Jetzt nahm Marks Team Aufstellung. Sein Team begab sich in den Kreis, das gegnerische Team verteilte sich um den Kreis herum. Die wichtigste Regel lautet, so erklärte Simon, dass der Ball nicht den Boden berühren durfte.

Die Spieler außen versuchen die Spieler im Kreis abzuschießen, aber so, dass die Spieler im Kreis keine Gelegenheit haben, den Ball zu fangen. Fängt der Spieler im Kreis den Ball, bedeutet das ein Strafpunkt für das Team außen. In dem Fall wechseln die Teams ihre Position. Fällt der Ball auf den Boden, erhält die Mannschaft, deren Spieler den letzten Ballkontakt hatte, gleich fünf Strafpunkte. Das Spiel endet nach maximal vierzig Minuten mit dem Sieg der Mannschaft, der die wenigsten Strafpunkte hat. Das Spiel endet auch dann, wenn die Zeit noch nicht vorbei, eine Mannschaft aber bereits hundert Strafpunkte erreicht hat. Das aber, beteuerte Simon, sei noch nie vorgekommen.

Nun war Herr Dunning wieder zu hören. Für dieses Vorstellungsturnier habe man sich auf eine Spieldauer von fünfzehn Minuten und eine Höchstpunktzahl von dreißig Punkte geeinigt. Acht Mannschaften würden an diesem Turnier teilnehmen und die Siegermannschaft würde eine Runde weiterkommen.

Der Anpfiff erfolgte und Simon übernahm wieder das Mikrofon.

„Du machst das wirklich gut", flüsterte Tonya und lauschte nun aufmerksam Simons Kommentaren.

Gehorche, Tonya.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt