Es war bereits früher Nachmittag, als Hendrik Tonya verließ und in sein Büro im Rudelhaus ging. Er war nicht wirklich schlauer, denn er hatte nicht eine richtige Antwort von ihr erhalten, außer der, dass sie nichts mehr essen wollte. Zwar glaubte er ein paar Mal eine positive Reaktion von ihr bemerkt zu haben, doch das reichte nicht, um sich sicher zu sein, was sich Tonya tatsächlich wünschte.
Während er nur mit einem Ohr und zusätzlich nur halbherzig Florians Bericht lauschte, überlegte er sein weiteres Vorgehen.
Vielleicht sollte er Georgio von Georgio Moden bitten, seine Kollektion Tonya vorzustellen. Dann könnte sich Tonya selbst aussuchen, was ihr gefiel. Doch dafür war es noch entschieden zu früh. Er würde wetten, dass seine widerspenstige Mate jetzt, da er nicht bei ihr war, erneut nur in Unterwäsche vor der Balkontür sitzen würde. Was würde Georgio denken, würde er seine zukünftige Luna so vorfinden? Wäre er dabei, könnte er zwar dafür sorgen, dass sie ausreichend bekleidet wäre, aber sie würde mit Sicherheit dann nur mit gesenktem Blick und hängenden Schultern daneben stehen.
„Wir könnten im Garten hinter dem Rudelhaus problemlos einen Hühnerstall aufbauen", schlug Florian gerade vor und beobachtete Hendrik lauernd. „Und vielleicht sollten wir Schafe halten, die den Rasen abgrasen."
„Guter Vorschlag", murmelte Hendrik geistesabwesend.
Marleen, die Innenarchitektin, die nicht nur das Alphahaus, sondern auch das neue Haus seiner Eltern geplant hatte, würde Tonya sicher bei der Auswahl der Möbel und Textilien für ihren Raum helfen können. Aber auch das war noch zu früh. Marleen war zwar eine Frau und somit bei Tonya keine Gefahr für ihn, zumindest nicht was die Beziehung anbetraf. Aber Marleen gehörte zu den Frauen, die ihn ständig anschmachteten, wann immer sie ihn sahen.
„Dann müssten wir den Garten deutlich sicherer machen", schlug Florian breit grinsend vor. „Vielleicht mit einem hohen Sicherheitszaun?"
„Hört sich gut an", murmelte Hendrik.
Es könnte zwar interessant sein, zu beobachten, wie seine kleine Mate reagieren würde, würde eine so schöne und elegante Frau wie Marleen ihn anschmachten und vertrauensvoll ihre gepflegte Hand auf seinen Arm legen. Aber das herauszufinden, dazu war es ebenfalls noch viel zu früh.
„Soll ich mich darum kümmern?", fragte Florian scheinheilig.
„Mach das."
Das einzige, was er vielleicht machen könnte, war, eine härtere Matratze zu besorgen. Doch er war sich fast sicher, dass nicht die Matratze schuld daran war, dass sie auf dem Boden schlief, sondern dass es der Trotz oder die Sturheit seiner kleinen Mate war, die sie so handeln ließ.
„Wieviel Hühner möchtest du dann anschaffen?", fragte Florian nun mürrisch und ließ seine Hand krachend auf den Tisch fallen.
„Was?", schrak Hendrik auf.
„Hab ich mir doch gedacht", knurrte Florian. „Ich habe gerade vorgeschlagen, hinter dem Rudelhaus einen Hühnerstall aufzubauen und als Rasenmäher Schafe anzuschaffen."
„Blödsinn", grummelte Hendrik.
„Ach wirklich?", schnaubte Florian. „Gerade fandest du das noch als eine gute Idee. Du warst sogar damit einverstanden, um den Garten einen Hochsicherheitszaun zu errichten."
„Entschuldige", entgegnete Hendrik zerknirscht. „Ich war mit meinen Gedanken woanders."
„Ist gar nicht aufgefallen", knurrte Florian spöttisch. „Ich habe dir zuvor davon erzählt, dass von Norden her immer mehr Rudellose im Niemandsland nach Süden ziehen. Die Wachen an der nördlichen Grenze konnten mittlerweile etwa zwanzig Rudellose ausmachen. Sie scheinen nicht mehr allein unterwegs zu sein, sondern bewegen sich mittlerweile in Gruppen entlang der Grenze."
„Ok, Flo", knirschte Hendrik schuldbewußt. „Hast du die Wachen dort bereits verstärkt?"
„Klar, ich habe sie verdoppelt", nickte Florian. „Aber ich glaube, dass dies nicht ausreichen wird. Wenn sich noch mehr Rudellose zusammenrotten, könnten sie für unser Rudel durchaus eine Gefahr sein."
„Ich weiß", entgegnete Hendrik. „Doch solange sie sich im Niemandsland aufhalten, können wir nicht viel tun. Wir haben kein Recht, sie auf ihrem Land anzugreifen. Aber wir müssen auf alle Fälle verhindern, dass sie in unser Revier eindringen. Die Trainer sollen die Männer bereits auf mögliche Kämpfe vorbereiten."
„Schon erledigt", nickte Florian. „Die Truppen rekrutieren Kämpfer und verschärfen die Trainingseinheiten. Wer nicht kämpft, arbeitet an Bunkern für die Alten, für Frauen und Kindern, in denen sie sich in Sicherheit bringen können, sollte es zu einem Angriff kommen."
„Sehr gut", murmelte Hendrik. „Hast du sonst noch was?"
„Ich habe ein Gerücht gehört", sagte Florian langsam und bedächtig.
„Was für Gerüchte?", fragte Hendrik alarmiert.
Normalerweise gab er nicht sehr viel auf Gerüchte, doch, wenn Florian auf diese Weise auf ein Gerücht hinwies, schien er es durchaus ernst zu nehmen.
„Es geht das Gerücht, dass sich abtrünnige Wölfinnen zu einem Rudel zusammengeschlossen haben."
„Nur Wölfinnen? In einem Rudel?", fragte Hendrik skeptisch. „Und wer führt das Rudel?"
„Eine Wölfin", entgegnete Florian mit leichtem Grinsen.
„Nun gut", schmunzelte Hendrik. „Die Damen werden wohl kaum eine Gefahr für uns sein."
„Nun ja", grinste Florian. „Sehe ich auch so. Im Moment jedenfalls noch, denn noch ist das Rudel relativ klein. Aber es geht das Gerücht, dass sich immer mehr Wölfinnen dem Rudel anschließen. Wir sollten sie beobachten."
„Erzählt man sich auch, wo die Wölfinnen herkommen?", fragte Hendrik interessiert.
„Sie scheinen aus unterschiedlichen Rudeln zu kommen", berichtete Florian achselzuckend. „Es sind Wölfinnen, die aus ihren Rudeln ausgeschlossen wurden, aus unterschiedlichen Gründen. Wölfinnen, die etwas angestellt hatten, Wölfinnen, die von ihren Gefährten abgelehnt wurden, Wölfinnen, die sich weigerten, Befehle zu befolgen, aber auch Wölfinnen, die einfach so abgehauen sind. Sie scheinen sich wie ein normales Rudel zu organisieren. Das Rudel ist momentan noch relativ klein. Nur wer weiß, was sich daraus entwickelt, wenn es größer wird. Wir sollten es also beobachten."
„Dann mach das", nickte Hendrik. „Aber nochmals zurück zu den Rudellosen. Habt ihr irgendwelche Informationen, wer dahinterstecken könnte?"
„Nicht wirklich. Die einzige Information, die wir haben ist, dass der Anführer ein Verstoßener aus einem der nördlichen Rudel sein soll."
‚Alpha, Beta. Einige Rudellose halten sich direkt an der Grenze auf', meldete einer der Wachen.
‚Wir kommen', antwortete Hendrik.
„Ich werde zu der gefährdeten Stelle laufen und dort nach dem Rechten sehen", entschied Hendrik. „Und du nimmst dir einige der besten Kämpfer und sicherst die Grenze im südlichen Bereich. Könnte sein, dass es eine Finte ist. Vielleicht wollen sie uns genau im nördlichen Bereich haben, um im südlichen Bereich in unser Revier eindringen zu können. Haltet euch zurück und versteckt euch, damit sie euch nicht sofort entdecken."
Florian nickte und gemeinsam verließen sie das Rudelhaus.
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Gehorche, Tonya.
WerewolfTonya wächst nur mit Brüdern auf und verbringt auch sonst ihre Zeit fast nur mit Jungs. Sie wird bald volljährig, aber einen Mate lehnt sie grundsätzlich ab. Ausgerechnet für sie hatte die Mondgöttin den jungen Alpha des Rudels vorgesehen, der si...