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Seit knapp einer Woche etwa hatte sie die Erlaubnis, sich weitgehend frei zu bewegen. Tonya nutzte dies auch aus, doch sie verließ ihr Zimmer immer erst dann, wenn niemand mehr im Hause war. Auch deswegen hatte sie Hendrik in dieser Zeit nicht mehr gesehen und er machte auch keine Versuche, sich ihr zu nähern. Aber sie war immer noch seine Gefangene, denn er ließ sie nicht zurück zu ihrer Familie gehen.

Bisher hatte Tonya das Alphahaus immer nur dann verlassen, wenn sie laufen ging, und sie ging jeden Tag laufen, allerdings nur wenn sie von Ben und Bodo begleitet wurde. Nur einmal war nicht Ben im Garten sondern einer der Typen, die sie gefesselt hatten. Tonya war wie erstarrt stehen geblieben, hatte den Typ zornig angesehen und ist wieder in das Haus gegangen. Gleich darauf wurde er abgelöst. Tonya konnte vom Balkon aus beobachten wie Ben kam und kurz mit ihm sprach. Der Kerl verschwand und Ben blieb mitten im Garten stehen und lächelte zu ihr hoch.

Zufrieden grinste Tonya und ging hinunter in den Garten, lächelte Ben kurz zu und verschwand in einem der Häuschen, um sich auszuziehen und zu verwandeln. Wie immer lief zunächst Bodo voraus und zeigte ihr die Grenzen und auch die schönsten Orte im Wald. Sie blickte sich immer genau um und genoss die Zeit dort, bevor sie mit voller Geschwindigkeit wieder zum Alphahaus zurück rannte.

Beim ersten Mal war sie brav direkt zum Alphahaus zurückgelaufen. Beim zweiten Mal aber fing sie an Haken zu schlagen, als wolle sie abhauen und schon lieferte sie sich eine wilde Verfolgungsjagd mit den beiden. Sie endete im Garten des Alphahauses. Tonya hatte die erste Jagd gewonnen und saß wartend im Garten. Mit schräg gelegtem Kopf sah sie den beiden Männern entgegen und leckte ihre Lefzen als die beiden knurrend und mit drohender Miene auf sie zugingen. Doch dann hüpfte sie schwanzwedelnd vor ihnen hin und her, bevor sie plötzlich über Ben sprang und Schwupps im Umkleidehäuschen verschwand.

„Das hat jetzt so richtig Spaß gemacht", hatte Tonya fröhlich gelacht und den beiden Wölfen zugewunken, bevor sie im Haus verschwand.

Von da an entwickelte sich der Rückweg immer zu einer kleinen Hetzjagd durch den Wald.

Doch an diesem Tag war einiges anders. Tonya hatte Geburtstag und am Morgen schon fühlte sie eine Veränderung. Auf einmal reagierte sie sehr deutlich auf Hendriks Geruch. Alles im Alphahaus roch mehr oder weniger nach ihm. Er roch nach Wald, nach einem Wald frisch gewaschen nach einem heftigen Regenguss. Ein Geruch, der ihr ungemein gut gefiel und der ihr in der Nase kitzelte, sobald sie ihre Zimmertür öffnete.

„Scheiße", knurrte sie und rief sich selbst zu Ordnung. Hendrik hatte sie nicht angelogen. Sie war tatsächlich seine Mate. Egal wie man es drehen oder wenden mochte, ob es ihr gefiel oder nicht, die Mondgöttin hatte sie füreinander ausgewählt. Jetzt würde es ihr noch sehr viel schwerer fallen, in seiner Gegenwart keine Reaktion zu zeigen. Dieses dämliche Mateband.

Trotzdem war sie festentschlossen, an ihrem Plan B festzuhalten. Mate hin oder her, sie wollte und konnte nicht einfach nur das brave Anhängsel sein.

Ebenfalls neu war diese Unruhe in sich, die sie sich nicht erklären konnte. Ob dies mit diesem Mateband zusammenhing? Unruhig wartete sie im Haus, bis sie nichts mehr hören konnte. Dann erst schlich sie sich nach unten. Das jedenfalls war gleichgeblieben, denn sie hatte auch in den Tagen zuvor ihr Zimmer erst dann verlassen, wenn niemand mehr im Haus war.

Ihr Tag begann, wie In den Tagen zuvor, mit Laufen, nur, dass sie den Lauf gleich mit einer Hetzjagd begann. Sie folgte nicht wie sonst Bodo, sondern sprang sofort an ihm vorbei und verschwand im Unterholz. Die beiden waren vollkommen überrascht und brauchten ein paar Sekunden, um darauf zu reagieren und ihr hinterher zu jagen. Zeit genug für Tonya sich im Unterholz zu verstecken und dort unruhig trippelnd auf ihre Begleitung zu warten. Bodo und Ben hatten sie fast schon erreicht, das sprang sie aus ihrem Versteck und jagte an ihnen vorbei. Im Zickzack hetzte sie über den weichen Waldboden. Plötzlich bemerkte sie einen schwarzen Schatten neben sich. Irritiert hielt sie inne und wurde langsamer, schon sah sie sich einem großen fast schwarzen Wolf gegenüber. Sie konnte gerade noch rechtzeitig anhalten und so verhindern, mit ihm zusammenzustoßen.

Helft mir, ihr Götter, schoss es Tonya durch den Kopf. Das war Hendrik, der langsam auf sie zukam. Wie erstarrt blieb Tonya stehen.

‚Unser Mate', flüsterte Yani schmachtend.

‚Halte dich zurück', fauchte Tonya. ‚Mate hin, Mate her. Ich werde mich ihm garantiert nicht an den Hals werfen.'

‚Komm schon', maulte Yani. ‚Er ist so stark und so schön und er riecht so gut.'

‚Hör zu', schnaubte Tonya. ‚Du hast wohl vergessen, dass er uns mit Gewalt entführt und eingesperrt hat. Wenn er wirklich was von uns will, muss er mehr bieten, wie nur stark und schön sein und gut riechen. Und wenn du versuchst, dich gegen mich zu stellen, schließe ich dich aus. Ist das klar?'

‚Ja, ja', brummte Yani missmutig. ‚Ich werde doch wohl noch was sagen dürfen', maulte sie und zog sich schmollend zurück.

Tonya schnaubte erleichtert auf. Sie hatte genug mit ihrem Gefühlschaos zu kämpfen, da brauchte sie die Auseinandersetzung mit Yani nicht noch zusätzlich. Sie verkrampfte sich noch stärker, als sie sich schließlich Auge in Auge gegenüberstanden. Hendrik kam noch näher, schnupperte an ihr und stupste sie mit seiner Schnauze an.

Folge mir', befahl er, drehte sich um und lief langsam voraus.

Tonya hatte keine andere Wahl, als ihm zu folgen, denn hinter ihr liefen Ben und Bodo. Kurz darauf hatten sie die Grenze erreicht, die Bodo ihr bereits am ersten Tag gezeigt hatte. Hendrik ging weiter und Tonya, Ben und Bodo folgten.

‚Das kommt mir bekannt vor', flüsterte Yani plötzlich

Tonya blickte sich genauer um. ‚Du hast recht', flüsterte sie zurück. ‚Das ist unser Wald.'

Gleich darauf erreichten sie den Waldrand. Dort. Ihr Elternhaus. Sie waren im Unterdorf. Unsicher blickte Tonya Hendrik an.

Du hast drei Stunden, Tonya', teilte er ihr mit ernster Stimme mit. ‚In drei Stunden bist du wieder hier und läufst mit Ben und Bodo zurück zum Alphahaus. Ohne Widerrede, ohne Gegenwehr. Keine Spielchen, wenn du möchtest, dass es allen weiterhin gut geht.'

Tonya verstand die versteckte Drohung. Gut, er hatte ihr damit einen großen Wunsch erfüllt, den Wunsch, ihre Familie wiederzusehen. Sie hatte ihm diesen Wunsch nicht mitgeteilt, aber es war ja nicht schwer ihn zu erraten. Doch in Verbindung mit dieser unterschwelligen Drohung, hörten sich seine Worte eher wie ein Befehl an.

Ok', sagte sie daher nur und ging dann vorsichtig auf ihr Elternhaus zu, immer darauf gefasst, er könnte seine Meinung ändern und ihr befehlen, sofort wieder zurückzukommen. Schließlich hatte sie die Terrasse erreicht.

Gehorche, Tonya.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt