Erleichtert atmete Tonya auf, als sie feststellte, dass niemand im Alphahaus war, als sie zurückkam. Das erregende Kribbeln in ihrem Körper ignorierte sie, wie auch den herrlichen Duft nach frischgewaschenem Wald, der aufdringlich in ihrer Nase kitzelte und Yani dazu veranlasste, sich schnuppernd an die Oberfläche zu drängen.
‚Ach wäre er jetzt hier in unserem Zuhause', säuselte sie verträumt.
‚Schnauze', fauchte Tonya, doch Yani hatte sich schon wieder zurückgezogen.
Tonya schnaubte. Auch wenn sie hier wohnte und voraussichtlich den Rest ihres Lebens hier bleiben musste, sie war noch weit davon entfernt das Alphahaus auch ihr Zuhause zu nennen. Noch fühlte sie sich als Gast in diesem Haus. Auch ihr Zimmer sah noch immer so aus, wie an ihrem ersten Tag. Das Einzige, was sich mittlerweile geändert hatte, war, dass sie nicht mehr auf dem Boden schlief, sondern nun das Bett benutzte.
Zum ersten Mal blickte sie sich richtig in ihrem Zimmer um. Klar wusste sie, wie ihr Zimmer aussah, oberflächlich eben, jetzt aber suchte sie nach einer Möglichkeit, etwas so zu verstecken, dass niemand es finden konnte, selbst wenn er noch so genau danach suchte. Sie suchte nach etwas, aus dem sie ein Geheimfach machen konnte, so wie in ihrem Zimmer bei ihren Eltern zuhause.
Niemand würde je auf dieses Geheimfach kommen, man konnte es ohne die Nadel nicht öffnen. Und wer würde hinter einer verbogenen Nadel einen Schlüssel zu einem solchen geheimen Fach vermuten? Niemand. Selbst wenn jemand die Schublade ausgeräumt und alles im Müll entsorgt hätte, hätte Tonya nur eine andere Nadel gebraucht, diese zurecht gebogen und schon hätte sie ihr Geheimfach wieder öffnen können. Aber dieses Zimmer hier...? Nichts. Hier war nichts, aus dem sie sich ein solches Versteck hätte selbst machen können. Oder doch?
Nachdenklich stand sie mitten im Zimmer, spielte mit der Kette, die sie heute von ihren Eltern erhalten hatte und drehte sich langsam um ihre eigene Achse, während ihre Augen die Wände und jeden einzelnen Gegenstand betrachteten. Dann stutzte sie. Ein kleiner Umschlag lag auf ihrem Schreibtisch. Sonst lag da nie was. Neugierig nahm sie den Umschlag und drehte ihn hin und her.
‚An das Geburtstagskind', stand in einer klar lesbaren aber etwas kantigen Handschrift darauf.
Gespannt öffnete Tonya den Umschlag. Er enthielt ein Brief und eine schwarze Kreditkarte, auf der ihr Name stand.
„Tonya, ich gratuliere dir zu deinem Geburtstag. Du bist nun volljährig. Damit du deine neue Freiheit auch genießen kannst, bekommst du diese Kreditkarte. Sie soll dir dabei helfen, dir Wünsche zu erfüllen. Hendrik."
Schlicht, schnörkellos und ohne die üblichen Anredefloskeln. Sie atmete tief durch. Irgendwie komisch. Hätte er sie mit ‚Liebe Tonya' angeschrieben, hätte sie jetzt wahrscheinlich wütend reagiert. Er hatte es nicht getan und das passte ihr genauso wenig. Wollte er überhaupt, dass sie seine liebe Tonya würde? Oder hatte sie ihn erfolgreich abgestoßen?
Egal, was soll's. Sie hatte noch nie eine Kreditkarte gehabt, aber jetzt kam ihr das gerade recht. Sie wollte mehr wissen über diese Münze, die jetzt um ihren Hals hing. Vielleicht würde sie in einem Antiquariat Bücher über alte Münzen und ihre Geschichten finden. Und dann war da noch dieser Stein, den sie mal gefunden hatte. Sie könnte zuvor vielleicht bei einem Juwelier nachfragen, um was für einen Stein es sich handelte und dann herausfinden, was dieser Stein bedeutete.
Schnell zog sie sich um und verließ ihr Zimmer. Hendrik war immer noch nicht zurück und auch Mara hatte sie an diesem Tag noch nicht gesehen. Gut so. So konnte sie ungehindert das Haus verlassen. Natürlich konnte sie nicht einfach so in die Stadt gehen. Zum einen, weil sie noch nie in der Stadt war und sich deshalb auch nicht auskannte. Es war die Stadt der Oberen, der Reichen und zu diesen hatte sie noch nie gehört. Jetzt schon, ob sie wollte oder nicht.
Zum anderen hatte Hendrik gesagt, dass sie immer von zwei Bodyguards begleitet werden würde. Meist waren das Ben und Bodo. Doch die waren nun abgelöst worden von Thilo und Milo. Ben und Bodo mochte sie lieber, aber egal. Sie musste mit den beiden ja keinen Smalltalk halten. Sie würden sie in die Stadt fahren, sie würden sie dorthin fahren, wo sie hinwollte. Sie würden sie in die Geschäfte begleiten und sie anschließend wieder zurück zum Alphahaus fahren.
Aufmerksam blickte ihr Thilo entgegen, als sie aus dem Alphahaus trat und die wenigen Stufen zur Einfahrt hinunterlief.
„Ich möchte gerne zu einem Juwelier", sagte Tonya.
Thilo nickte ohne seine Miene zu verziehen und hielt ihr die Hecktür auf zu einem sehr gepanzert aussehenden SUV. Tonya ignorierte die Geste, eilte um das Fahrzeug herum und öffnete die Beifahrertür. Ehe Thilo etwas sagen konnte, saß sie auf dem Beifahrersitz und hatte sich angeschnallt. Zwischenzeitlich war Milo von hinter dem Haus nach vorne gekommen. Gerade noch sah er, wie Tonya die Beifahrertür schloss. Kurz wechselte er einen mürrischen Blick mit Thilo, der ihn entschuldigend angrinste, dann quetschte er seinen muskulösen Körper hinter den Beifahrersitz und knallte die Tür lauter zu, als es notwendig gewesen wäre.
Nur zwanzig Minuten später hielt der SUV auf dem Parkplatz vor einem großen Schmuckladen. Der Motor war noch nicht aus, da hatte sich Tonya bereits abgeschnallt und stieg aus. Mit verschränkten Armen wartete sie auf dem Gehweg auf ihre Begleitung und hob grinsend ihre Augenbrauen, als sie beobachtete, wie Thilo zuerst ausstieg, um das Fahrzeug herumging und Milo aussteigen ließ.
„Bevor ich es vergesse", säuselte sie mit übertrieben freundlicher Stimme. „Ich bin jetzt volljährig, also kein Kind mehr. Ihr könnt die Kindersicherung jetzt rausnehmen."
Immer noch grinsend und ohne auf die mürrischen Gesichter ihrer Leibwächter zu achten, drehte sie sich um und betrat das Geschäft. Sie war nicht gerade gekleidet, wie die Damen, die sonst in diesen edlen Laden kamen, entsprechend geringschätzig musterte sie die ältere Dame hinter dem Tresen.
„Wie kann ich Ihnen helfen?', fragte sie in einer Stimme, die eher zu einer Frage wie ‚Was suchst du denn hier, Kleine?' gepasst hätte. Ihr Verhalten änderte sich aber schlagartig, als die beiden Bodyguards, immer noch mit mürrischen Mienen, den Laden betraten und sich breitbeinig hinter Tonya aufbauten. Die Dame hinter dem Tresen schluckte nervös und wandte sich nun deutlich höflicher Tonya zu, die ohne auf das Verhalten der älteren Dame noch auf ihre beiden Schatten zu achten, den Stein aus ihrer Hosentasche holte und ihn auf die edle schwarze Ablage legte.
„Ich hätte gerne gewusst, was das für ein Stein ist?", wollte sie wissen.
Die Dame nahm den Stein, drehte ihn in ihren Händen und legte ihn zurück auf die schwarze Ablage.
„Es ist ein weißer Mondstein, ein Regenbogenmondstein. Er ist unbehandelt. Wäre er geschliffen und poliert, würden Sie die schillernden Farben, die diesem Stein den Namen geben, viel besser erkennen können." Die Dame blickte Tonya neugierig an. „Darf ich fragen, was Sie mit diesem Stein vorhaben?"
„Das weiß ich noch nicht", antwortete Tonya achselzuckend. „Aber sollte ich mich entscheiden, daraus ein Schmuckstück machen zu lassen, werde ich mich wieder melden. Danke für Ihre Auskunft."
Gefolgt von ihren Bodyguards verließ Tonya das Geschäft und stellte sich abwartend an die Beifahrertür, ihre Hand bereits am Türgriff. Auffordernd blickte sie Thilo an, doch Thilo betätigte die Fernbedienung nicht, sondern blickte sie nur milde lächelnd an, bis Milo direkt neben Tonya stand und grinsend nach dem Türgriff fasste. Sie hatte verstanden. Genervt verdrehte sie ihre Augen und ließ den Türgriff los. Jetzt erst betätigte Thilo die Fernbedienung, Milo öffnete, noch breiter grinsend, die Tür, ließ Tonya einsteigen und schloss sanft die Tür. Dann quetschte er sich wieder auf den Rücksitz.
„Wohin darf es jetzt gehen?", fragte Thilo immer noch milde lächelnd und blickte Tonya neugierig an.
„Gibt es hier ein Antiquariat oder ein gut sortierter Buchladen?", fragte Tonya und lächelte Thilo sehr freundlich dabei an.
„Ja", nickte Thilo amüsiert. „Wir haben ein großes Büchergeschäft mit einem Antiquariat dabei."
„Na dann, fahr los."
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Gehorche, Tonya.
مستذئبTonya wächst nur mit Brüdern auf und verbringt auch sonst ihre Zeit fast nur mit Jungs. Sie wird bald volljährig, aber einen Mate lehnt sie grundsätzlich ab. Ausgerechnet für sie hatte die Mondgöttin den jungen Alpha des Rudels vorgesehen, der si...