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Gerade als Hendrik das Erdgeschoss erreichte, stürmte Florian ins Haus.

Entsetzt blieb er stehen. In diesem Zustand hatte er Hendrik noch nie gesehen. Er wirkte verkrampft, steif und bewegte sich wie eine Marionette. Nichts schien zu ihm durchzudringen. Selbst Florian schien er nicht zu bemerken. Wie ferngesteuert stakste er die Treppen hinunter in den Keller.

Fassungslos starrte Florian Hendrik hinterher, bevor er die Treppe hinaufblickte und registrierte, dass die Tür zu Tonyas Zimmer offen war. Er hörte Adelin reden, von Tonya hörte er nichts.

Du hast mich gerufen, Luna Adelin', meldete er sich.

Kümmere dich um Hendrik', bat sie. ‚Tonya hätte es fast geschafft, dass er die Kontrolle über sich verloren hätte.'

Florian fragte nicht weiter nach, sondern folgte seinem Freund in den Keller. Er fand ihn ganz hinten in dem großen Trainingsraum. Wie oft schon hatten sie sich dort getroffen und miteinander trainiert? So lange, bis sie so müde waren, dass sie kaum noch ihre Arme heben konnten. Dann waren sie gemeinsam in die Sauna gegangen und von dort aus nach oben in den Pool und anschließend auf die Liegewiese, wo Mara sie dann mit Eis und kühlen Getränken verwöhnt hatte.

Besorgt beobachtet Florian nun seinen Freund, der steif auf den großen Sandsack zuging nur um wie ein Verrückter auf ihn einzudreschen. Wow, Florian hatte Hendrik schon häufiger wütend erlebt und auch schon richtig wütend erlebt, aber das hier war mehr als nur Wut.

Der Sandsack knirschte. Ratsch, das klang, als ob eine Naht gerissen war. Und wirklich, ein feiner Strahl Sand sorgte für ein langsam größer werdendes Häufchen auf dem Boden. Doch Hendrik hörte nicht auf. Der Riss in der Naht wurde länger, der Sandstrahl dicker und der Haufen auf dem Boden deutlich schneller größer. Doch noch immer drosch Hendrik wie besessen auf ihn ein. Ratsch. Nun sprang die Naht ganz auf und der ganze Sand platschte auf den Boden und verteilte sich dort in allen Richtungen. Nun hing nur noch ein schlapper leerer Sack von der Decke.

Jetzt erst hielt Hendrik inne. Seine Hände krallten sich am leeren Sack fest während er schwer atmend versuchte sich zu beruhigen.

„Bist du jetzt ansprechbar?", fragte Florian vorsichtig.

„Ja", nickte Hendrik und ließ sich erschöpft auf eine Bank fallen.

„Was ist passiert?", wollte Florian wissen und setzte sich auf einen Hocker seinem Freund gegenüber.

„Sie hat den kompletten Inhalt ihres Kleiderschranks in die Badewanne gepackt und das Wasser laufen lassen. Es ist alles nass", murmelte Hendrik und lehnte mit geschlossenen Augen an der Wand.

„Ok", nickte Florian bedächtig. „Auf so eine Idee muss man erst mal kommen."

„Ich hätte sie fast erwürgt", gestand Hendrik leise und blickte Florian mit seltsam entsetzter Miene an. „Und sie sah mich mit ihren verwirrend grünen Augen eiskalt an und sagte, tu es doch."

„Autsch." Florian senkte den Kopf. „Das ist echt stark. Soll ich ihr nicht doch mal den Hintern versohlen? Vielleicht hilft das ja."

„Nein", schüttelte Hendrik bedächtig den Kopf. „Glaube mir, das würde nichts nützen."

„Bist du dir da sicher?"

„Sehr sicher sogar", nickte Hendrik. „Ich würde sogar mit dir wetten, dass sie sich nicht einmal die Blöße geben würde, auch nur einen Laut von sich zu geben. Und sie würde dir das nicht verzeihen und dir bei nächster Gelegenheit nochmals empfindlich in die Eier treten."

„Glaubst du?"

„Ich bin mir ziemlich sicher", nickte Hendrik. Er atmete tief ein und langsam wieder aus. „Komm, lass uns nach oben gehen. Vielleicht ist meine Mutter noch da."

Adelin war tatsächlich noch da. Sie saß am Küchentisch und unterhielt sich mit Mara, als die beiden Männer aus dem Keller kamen.

„Hendrik", Adelins Stimme klang erleichtert. „Bist du ok?" Sie sprang auf und umarmte ihren Sohn.

Hendrik nickte. „Hast du mit ihr gesprochen?"

„Ich habe es versucht."

„Und?"

„Schweigen", flüsterte Adelin. „Sie blickte stur auf den Boden, sagte kein Wort, reagierte auf nichts. Sie stand immer noch unbeweglich an derselben Stelle, als ich das Zimmer verließ."

„Hast du irgendeine Idee?" Hendrik blickte seine Mutter hoffnungsvoll an.

„Ich werde darüber nachdenken", versprach Adelin.

„Wir müssen nochmal ins Rudelhaus", sagte Hendrik. „Komm, wir bringen dich vorher nach Hause."

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Es war spät geworden, als Florian Hendrik vor dem Alphahaus absetzte.

„Schlaf gut", wünschte Florian und bedachte Hendrik mit einem eigenartigen Blick.

„Was?", pflaumte Hendrik.

„Was hast du jetzt vor?"

„Weiß nicht", presste Hendrik hervor und stieg aus. „Wir reden morgen." Er nickte Florian zu, klopfte kurz aufs Autodach und ging dann mit müden Schritten auf das Haus zu.

Einen kurzen Augenblick lehnte er sich von innen an die Haustür, bevor er sein Jackett auszog und achtlos auf einen der gemütlich aussehenden Sessel im großen Eingangsbereich warf. Einen Augenblick blieb er unschlüssig im Torbogen stehen, der den Eingangsbereich vom riesigen offenen Wohnbereich trennte. Links befand sich das Wohnzimmer und rechts die offene Wohnküche mit einem großen ovalen Esstisch und mittendrin trennte das eckige Treppenhaus die beiden Bereiche.

Schließlich wandte sich Hendrik nach links ins Wohnzimmer. Er trank selten Alkohol, doch nun schenkte er sich einen Whisky ein und leerte das Glas in einem Schluck. Mit geschlossenen Augen fühlte er dem leicht brennenden Gefühl nach, welches der Whisky von seinem Mund aus bis in den Magen verursachte. Und er fühlte die Wärme, die sich langsam in ihm ausbreitete und ihn etwas entspannte.

Er schenkte sich noch einen Whisky ein und ließ sich auf das Sofa fallen. Auch diesmal leerte er das Glas in einem Schluck und genoss die entstehende Wärme mit geschlossenen Augen. Erst als er ein leises Räuspern hörte, öffnete er seine Augen und entdeckte seine Haushälterin Mara am Durchgang zur Küche.

„Was gibt's", fragte er müde.

„Verzeiht Alpha, du wolltest doch, dass ich dich informiere", antwortete sie leise. „Sie hat auch heute noch nichts gegessen und auch den Saft im Krug nicht getrunken."

„Ich kümmere mich darum", versprach Hendrik müde. „Ich werde ihr morgen das Frühstück nach oben bringen. Vielleicht ist ihr Hunger morgen früh groß genug. Und jetzt geh schlafen."

Mara nickte. „Gute Nacht, Alpha", sagte sie und ging.

Hendrik seufzte. Am liebsten hätte er gleich nochmals einen großen Schluck Whisky direkt aus der Flasche hinterher getrunken, aber er durfte sich nicht betrinken. Er brauchte einen klaren Kopf. Langsam stieg er die Treppe hinauf und ging zu ihrem Zimmer. Ganz leise drehte er den Schlüssel um und trat ein.

Nur das kleine Nachtlicht in der Steckdose neben der Zimmertür brannte. Aber das Licht war hell genug und er sah auf den ersten Blick, dass das Bett mal wieder leer war. Gleich darauf entdeckte er auch Tonyas eingerollte Gestalt auf dem Boden vor der Balkontür, natürlich spärlich bekleidet und ohne Decke.

Vorsichtig hob er sie auf und trug sie zum Bett. Dann holte er ein frisches T-Shirt aus seinem Zimmer, zog es ihr an und deckte sie sorgfältig zu. Nachdenklich betrachtete er sie. Sie sah so friedlich aus im Schlaf und so entspannt. Und sie war so schön. Wie gerne würde er jede einzelne Sommersprosse küssen und dann seine Lippen auf ihre sinnlichen vollen Lippen legen und dabei seine Hände in ihrem wilden lockigen Haar versenken.

Ja, seine kleine Mate war schön. Aber was stimmte nicht mit ihr? Sie hatte sich gewehrt und um sich geschlagen als er sie holte, und ihre Tritte und Hiebe waren nicht von schlechten Eltern. Und jetzt? Jetzt wirkte sie wie ein gebrochenes kleines Mädchen. Oder war es nur Trotz? Klar. Das konnte doch nur Trotz sein. Was sollte es sonst sein?

„Wenn du mir trotzen willst, nur zu", flüsterte er und lächelte grimmig. „Wir werden sehen, wer den längeren Atem hat."

Abrupt drehte er sich um und ging.

Gehorche, Tonya.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt