Balou steht wohl auch auf das Lied. Zumindest kennt sie den Text genauso wie ich auswendig, was sie mir durchs Mitsingen verdeutlicht. Ich muss nach wie vor breit grinsen. Was irgendwie auch crazy ist. Bin das ich? Das lässt mich jedoch genauso wieder erleichtert aufatmen, gleichsam meine Gedanken zu dem Ende unseres Gesprächs zurückspulen. Die Chance geben.
»Und wenn du ... stets gemütlich bist und etwas appetitlich ist, dann nimm es dir egal von welchem Fleck. Was soll ich woanders, wo's mir nicht gefällt? Ich gehe nicht fort hier, auch nicht für Geld«, trällert sie gekonnt mit.
Fleck. Was soll ich woanders ..., wiederhole ich Balus beziehungsweise Balous Worte. Sie hat mich dazu gebracht, hierzubleiben. Dabei hat sie mich zwar auch gequält, aber immerhin bin ich nicht geflohen. Dank ihr. Ihretwegen hatten auch die anderen Gedanken erst gar nicht die Chance, derart machtvoll über mich einbrechen zu können.
Um den Anflug direkt wieder zu unterbinden, fokussiere ich mich wieder voll auf sie – beobachte, wie sie lachend und tanzend herumwirbelt. Als sie meinen Blick wahrnimmt, hält sie lachend die Arme auf. Mich spontan der Musik nach bewegend schreite ich auf sie zu. Das passiert mir immer wieder. So manche Moves übe ich komplett spontan aus. Freestylerin eben.
»Na und pflückst du gerne Beeren und du pikst dich dabei, dann lass dich belehren: Schmerz geht bald vorbei! Du musst bescheiden, aber nicht gierig im Leben sein, sonst tust du dir weh«, springe ich in der nächsten Strophe mit ein und wir greifen uns an den Händen, sodass wir uns gemeinsam herumschwingen können.
Das Lied passt wirklich perfekt zu Balou. Sie scheint wie Balu, der Bär positiv zu sein.
»Denn mit Gemütlichkeit kommt auch das Glück zu dir! Es kommt zu dir!« Lachend beenden wir unsere Tanz-Sing-Session. Das war super!
»Was treibt ihr denn da?« Erschrocken drehe ich mich um. Mit gerunzelter Stirn betrachtet uns Baggy vom Türrahmen aus. Doch ohne auf eine Antwort zu warten – weder von Balou noch von mir – düst er wieder ab. Äh, was war das denn jetzt schon wieder? Crazy Typ?! Meine Augen fixieren noch den Eingang, an dem er eben noch stand. Nicht glaubend, dass er wirklich einfach gegangen ist. Und auch nicht wieder dort auftaucht. Der kann ja alle möglichen Moves im Verhalten innerhalb der kürzesten Zeit hinlegen ... Es ist beinahe so gewöhnungsbedürftig wie Balou mit ihrem Redeschwall vorhin.
»Was ist eigentlich mit ihm? Ist der immer so?«, wende ich mich an Balou, nach dem ich meine Verblüffung ad acta legen konnte.
»Ach«, erwidert sie und schnauft aus. Sie dreht sich in die Richtung, in der abgezischt ist. »Jeder hat eben seine Geschichte«, ergänzt sie.
Ich bin mir nicht sicher, ob sie es nur in Gedanken anfügen wollte, anstatt es laut auszusprechen. Vermutlich ist es nicht für meine Ohren bestimmt gewesen, doch ich bin mir ziemlich sicher, es richtig verstanden zu haben. Der Tonfall und auch ihr Blick verraten zudem, was sie damit meinen könnte. Dass es auch in Mister Baggys Vergangenheit einen dunklen Fleck gibt, der nicht so leicht überwunden werden konnte oder ist?! Vielleicht ein Ereignis, das ihn mitgenommen und eventuell verändert hat.
Durch die Wand versuche ich mir auszumalen, wo ungefähr die Rampe sein könnte; wo er sich in etwa befindet, falls er denn überhaupt noch dort draußen bei den Kieselsteinchen verweilt und nicht sonst wohin abgehauen ist.
Als ich meine, die Stelle in etwa ausgemacht zu haben, stelle ich ihn mir dort hockend vor ... Mit seiner bescheuerten Baggy. Was ihm wohl mal widerfahren sein mag? Welche Geschichte hinter ihm steckt?
»Das hat übrigens echt Spaß gemacht«, holt mich Balou zurück ins Hier und Jetzt. »Sollten wir wiederholen.«
»Fand ich auch«, antworte ich zögernd. Es stimmt. Seit Langem konnte ich mich einfach mal wieder fallen lassen. Hätte nicht gedacht, dass mir das so leicht gelingen würde.
»Vielleicht stößt du mal zu einer unserer Proben dazu?«
»Ja, vielleicht ...«
»Warum nicht?« Oh oh, ich sollte mich in Acht nehmen. Etwas in ihrer Stimme signalisiert Ärger. »Was sollte dich davon abhalten?«
Ja, was? Vieles und gleichzeitig nichts. Und dazwischen ist ebenso einiges. Einige dunkle Flecke ... Eine gute Antwort kann ich darauf nicht geben. Nicht auf die Schnelle. Und selbst weiß ich gar nicht, wo ich beginnen soll. Deswegen zucke ich mal wieder nur mit den Schultern.
»In den Ferien trainieren wir öfters. Keine Schule und so, da haben wir mehr Zeit«, erklärt sie.
»Aha.«
»Außer Gabe. Aber auch er hat dennoch mehr Zeit«, redet sie unbeirrt weiter.
»Und es wäre für alle in Ordnung?«
»Ich denke ...«, sie schaut nach oben, als wäre sie auf der Suche nach einer Antwort, »womöglich solltest du erst einmal mit Gabe sprechen. Aber ich sehe keinen Hinderungsgrund.«
»Und, wo finde ich Gabe?«
Erwartungsvoll gucke ich sie an, sie erwidert meinen Blick, jedoch schaut sie sehr verwirrt drein. Dann fängt sie lauthals an zu lachen. Sie bekommt sich gar nicht mehr ein, bis sie sich sogar den Bauch halten muss.
Ooookay. Sie sind hier alle irgendwie ein wenig crazy. Gefällt mir ja eigentlich, wenn die Leute auch mal anders sind und können, aber ich würde gerne wissen, was soooo witzig ist.
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Egal von welchem Fleck
Teen Fiction◦𝗬𝗼𝘂𝗻𝗴 𝗔𝗱𝘂𝗹𝘁◦ Unerwünscht. Einsam. Abgewiesen. Das ist die 17-jährige Mo gewohnt. ›Raus‹ ist eins der geläufigsten Worte in ihrem unsteten Leben. Stück für Stück bröckelt es - in ihr, um sie herum. Alles. Wechsel und Wandel begleiten sie...