Auch nach dem ich abrupt aufgehört habe zu sprechen, übernimmt kein anderer das Wort. Stattdessen gucken sie – quatsch, sie starren viel eher – mich immer noch an, als wäre ich gerade erst zu ihnen gestoßen und sie würden herausfinden wollen, was ich von ihnen überhaupt will. Bin ich jetzt völlig bekloppt?
Ich schaue mich um, suche bereits nach Anhaltspunkten für irgendeine abgefreakte übernatürliche Aktion, die nur mir widerfahren könnte, finde aber nichts. Nach was müsste ich da Ausschau halten? UFOs? Ja genau, Mo. Auf einmal, wie aus dem Nichts, wirst du ganz sicher irgendeine fliegende Untertasse in diesem Jugendtreff ausfindig machen. Ganz klar. Sonst noch was? Vielleicht mit einer befüllten Kaffeetasse oben drauf? Das wäre doch mal was.
»Was ist denn?«, erwidere ich vielleicht etwas zu harsch, aber ich halte das nicht mehr aus. Was genau, weiß ich auch nicht. Entweder treiben die mich noch damit in den Wahnsinn oder ich mich selbst mit diesen irrsinnigen Gedanken.
»Der beste Beweis«, gibt Dilara lachend von sich und sie alle wissen irgendwie Bescheid, worum es hier geht. Nur ich nicht.
Fragend schaue ich ihnen ins Gesicht. »Mensch Mo. Für das, was du gerade gesagt hast, bist du manchmal ziemlich aggro«, erlöst mich Gabe von meinem Unwissen, wobei er das letzte Wort in imaginäre Anführungszeichen setzt. Äh was?
»Nein, ganz sicher nicht!«, rufe ich aus und erhebe mich.
»Nee, natürlich nicht«, amüsiert sich Flynn.
»Ey, das ist nicht fair!«
»Was?« Er hebt seine Augenbraue und will mich offenbar provozieren. Soll ich darauf reinfallen? Würde ich ja gerne, aber eigentlich auch nicht.
»Pass auf, was du sagst«, schreitet Gabe dazwischen. Ach, jetzt will er mich wieder in Schutz nehmen? Der mag auch das Spiel mit dem Feuer, oder? »Sie steht auf Balu.«
»Was?«, ruft Flynn überrascht aus und dreht sich zu Balou. »Auf dich?« Er deutet mit dem Finger übertrieben auf sie.
»Nein, du Volltrottel«, erwidert sie bloß.
»Hä? Aber Gabe hat doch–«
»Auf Balu, den Bären ...«, unterbricht sie ihn und schüttelt mit dem Kopf.
»Ach so.«
»Als wenn ich das einfach so laut herausschreien würde«, meint Gabe dann noch dazu. Das wäre in der Tat merkwürdig.
»Was sollte eigentlich dein komisches überraschtes ›Was‹?«, hakt Balou nun bei Flynn nach.
»Gar nichts. Ich war ja nur überrascht, sowie du sagst.«
»Na dann ist ja gut.«
Mir entgeht nicht, wie Balou dabei an Flynn vorbei zu Bene schaut, der sich aus dem Ganzen zurückgehalten hat und sich erst jetzt wieder aus seiner gekrümmten Haltung herauswagt.
»Sagt mal«, setze ich nun an, »seid ihr immer so?«
Balou fängt an zu lachen. »Du meinst unterhaltsam?«
»Und unwiderstehlich ...«
»Anstrengend?«
»Sowie quirlig und liebenswürdig?«
»Vergesst nicht: Immer anders?«
Einer nach dem anderem haut etwas anderes auf meine Frage hin heraus. »Ja, irgendwie alles und noch mehr«, wage ich zu antworten. »Das stellt ihr auf jeden Fall sehr gut unter Beweis.« Nun muss ich auch lachen.
Gabes Worte ploppen auf. Rund um Vertrauen und wie sie in der Gruppe sind, dass es darum geht sowohl die positiven Eigenschaften zu würdigen als auch ihre Macken. Ja, das fasst es gut zusammen. Und ist irgendwie auch etwas Wunderschönes.
»Wie sieht es aus? Seid ihr fertig?« Balou klatscht in die Hände. »Wollen wir Mo ein paar unserer Basic-Choreos beibringen?«, schlägt sie vor.
Ich schaue auf die anderen Teller, die tatsächlich leer gefuttert sind. Nur auf meinem befindet sich noch was. Schnell schiebe ich mir den Rest in meinen Mund und nicke – wie die anderen – Balou zu. Na ja, mit vollem Magen ist es zwar eigentlich nicht das Beste, aber wird schon. Wir bringen unsere Teller zur Theke, an der sie von einem Mitarbeiter entgegengenommen werden.
»Morgen oder das nächste Mal, wenn du kommst, zeigst du dann einfach deinen Ferienpass vor. Dann passt alles«, sagt er zu mir mit einem Lächeln.
Ich verstehe wieder nur Bahnhof, aber da es mir richtig vorkommt, lächle ich zurück und nicke. Gabe steht mir am nächsten, den ich dann gleich auf dem Flur fragend anschaue.
»Das Mittagessen ist für alle mit einem Ferienpass kostenlos, Schülerausweis reicht hier auch. Ich habe vorhin – einfach, um den Aufwand kleinzuhalten – zu ihm gesagt, dass du deinen nicht dabei hast«, erklärt er mir entschuldigend.
»Und nun?«, will ich von ihm wissen.
»Zeigst du deinen dann einfach beim nächsten Mal nach, okay?«
Verdammt. Er geht davon aus, dass ich zur Schule gehe. Natürlich denkt er das. Shit. »Und wenn–«, beginne ich, doch jemand drängelt sich zwischen uns durch.
»Nicht trödeln ihr beiden. Hopp, hopp.« Damit zieht uns Balou in den Saal hinein. Da wir heute schon alle getanzt haben, gibt es nur eine kleine Aufwärmrunde. Danach stellen wir uns vor dem Spiegel auf. Ich weiter hinten in der Mitte, sodass ich auch bei den anderen mit abschauen kann und niemanden herausbringe.
Mit einem flauen Gefühl – nicht wegen der paar Nudeln – starte ich in das erste Training meiner womöglich ersten Crew. Viel zu lange halte ich mich hier eigentlich schon auf. In einer Einrichtung der Jugendhilfe auf der Flucht vor der Jugendhilfe. Das ist paradox. Und nicht nur das. Was mache ich hier nur?
»Fünf, sechs, sieben, acht«, zählt Balou an und dann geht es los.
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Egal von welchem Fleck
Teen Fiction◦𝗬𝗼𝘂𝗻𝗴 𝗔𝗱𝘂𝗹𝘁◦ Unerwünscht. Einsam. Abgewiesen. Das ist die 17-jährige Mo gewohnt. ›Raus‹ ist eins der geläufigsten Worte in ihrem unsteten Leben. Stück für Stück bröckelt es - in ihr, um sie herum. Alles. Wechsel und Wandel begleiten sie...