Der Moment seiner kuriosen Mimik verschwindet genauso schnell, wie unsere Gespräche bisher ein Ende genommen haben. Daher werde ich mein Bestes geben – gedanklich hebe ich meinen nicht vorhandenen angespannten Bizeps an –, das erst einmal abzutun. Wie vieles andere.
Ich folge dem Haufen hinein; wieder in das Gebäude, erneut in den Saal. Dieses Mal bleibe jedoch ich an der Theke stehen und beobachte, wie sie sich gemeinsam als Einheit in die Mitte begeben.
»Auch wenn das eigentlich Gabes Aufgabe ist und ich ihm zu gerne diese abnehme«, beginnt Balou grinsend, wobei sie das Wort ›abnehme‹ besonders betont. Typisch Balou, stelle ich fest, ohne sie wirklich zu kennen. Doch ich kann mir jetzt schon denken, dass sie andere gerne neckt – auf liebevolle Weise.
Mit einem Schritt tritt sie rückwärts aus dem Kreis und schaut sich irritiert um. Bei ihr werde ich, glaube ich, schneller schlau draus, was so los ist. Hektisch guckt sie von links nach rechts und wieder andersherum. Bis ihr Blick mich einfängt und sie beginnt zu lächeln. »Da bist du.« Sie seufzt erleichtert auf, sie liebt wohl Theatralik, denn sie fasst sich ans Herz. »Komm schon her oder soll ich meine Stimme überstrapazieren?«, fragt sie amüsiert.
»Das«, setzt jemand anderes aus der Gruppe mit einer ähnlichen theatralischen Stimmlage an, »will wirklich niemand riskieren.« Und dann zeigt er hoch in den imaginären Himmel mit ausgebreiteten Armen, um sie dann wieder vor seinem Körper zu schließen, als würde er beten. Lustiger Haufen hier, dem ich mich nun nähere.
»Also Mo, dann stelle ich dir mal die Clique vor. Gabe kennst du ja nun schon«, fängt sie an und legt einen Arm sanft über meine Schultern. »Das ist Flynn, unser zweiter Balou, aber er hat es, wie du eben gemerkt hast, offensichtlich nicht so drauf wie ich, was ihn wirklich ausmacht, ist, dass er seinem Namen alle Ehre macht und–«
»Was?«, unterbricht Flynn – wofür der Name auch immer stehen möge – sie, lacht aber dabei.
Balou winkt ab, übergeht ihn und fährt fort: »Das ist Dilara, je nach Stimmung will sie Di oder Lara genannt werden, frag sie lieber jeden Tag und ...« Sie wir drehen uns ein Stück. »Das ist Bene, unser Ruhepol. Was würden wir nur ohne Bene machen? Ich glaube, wir hätten uns schon längst die Köpfe eingehauen? Stimmts?«
Die Vorstellung war super und vor allem passend zu Balou – dramatisch im Ton –, die Clique lacht und grinst, lächelt mir zu. Doch von mir kommt erneut nur ein »Hey«, weil es viel zu viele Infos sind. Ich vermisse meine Coolness schon längst. Wo ist sie hin? Sie ist flöten gegangen wie eine Packung auslaufende Sonnenmilch bei direkter Einstrahlung. Sie fließt daher, wird immer dünnflüssiger, doch es ist so, du kannst es nicht aufhalten. Genauso sehe ich meiner Coolheit hinterher. Adieu. Ich fühle mich erbärmlich.
»Was verschlägt dich hierher?«, fragt mich Dilara. Oh no, ausgerechnet sie. Soll ich antworten oder erst nachfragen, wie ich sie ansprechen soll? War das überhaupt zu einhundert Prozent ernst gemeint? Fucking. Shit. War ich auch schon mal noch unsicherer?
»Lasst sie erst einmal ankommen und in der Zeit: Los Leute, hoch mit eurem Hintern!«, grätscht Balou dazwischen und in einem passenden Moment – sodass nur ich es sehen kann – zwinkert sie mir zu.
Da ich sehr wohl weiß, was nun kommen wird – diese einmalige Stimmung ist mir vertraut, wenn sich eine Gruppe innerlich für das wappnet, schnappe ich mir meinen Seesack, damit sie keine Extrahürde haben. Dann pflanze ich mich an die gegenüberliegende Wand auf den Boden.
Kurz darauf ertönt ein Remix, den ich so noch nicht kenne. Aber er klingt geil. Nicht hardcore, auch ebenso wenig zu langsam, sondern einfach tanzbar. In meinem Kopf sprudeln mir sofort Ideen zu Moves hoch. Doch nun will ich mir ansehen, was sie mir zeigen wollen.
Es beginnt ganz cool, baut sich auf. Erst bewegt sich nur die rechte Seite, reißt dann die linke mit. Dann ein Freeze. Sie rufen break'n'hut und klatschen in die Hände. Echt cool. Dann stellen sie sich neu auf. Eine gemeinsame Choreo beginnt, die immer mal wieder unterbrochen wird. Durch Freeze, Sprungelemente, Standbilder oder auch, weil sie ihren Crewmitgliedern die Möglichkeit geben, sich einzeln vorzustellen. Es kommt mir so vor, als wäre es deren Song mit ihrer Choreo genau für solche Anlässe oder Events, bei denen sie sich als Hip-Hop-Tanzgruppe präsentieren. Immer wieder – gerade bei einem Bildwechsel – rufen sie break'n'hut und klatschen dabei in die Hände. Bewundernd starre ich sie an. Sie bilden eine Einheit.
Als sie fertig sind, klatschen sie sich ab und ja, es ist wirklich großartig, wie sie tanzen und miteinander agieren.
»Das war richtig cool«, sage ich.
»Und willst du uns jetzt zeigen, was du so drauf hast?«, fragt Dilara.
Eigentlich wollte ich gerade sagen ›Ja. Klar. Natürlich. Los‹, aber es kommt nicht aus mir heraus. Auf einmal bin ich wie versteinert oder festgefroren – ja, nun mache ich ein Freeze – und blicke in fünf erwartungsvolle und leuchtende Augenpaare. Sie erwarten etwas von mir. Etwas Gutes. Doch ich vermassele, vielmehr zerstöre ich immer alles. Wie konnte ich nur so dumm sein und mich hier drauf einlassen?
Was für ein Trugbild. Ich schüttele mit dem Kopf. Der Schmerz gelangt über kleine feine Stiche zu mir, die mich wie frostige Stacheln piksen, sie lassen es mich erkennen. Wahrlich dumm von mir. Ich muss hier weg.
»Äh ... Danke. Äh ... Echt.« Ich bücke mich und schnappe mir mein Zeugs. Ich greife zwar erst daneben, aber dann haut es hin. »Ich muss ... ja ... äh ... dann weg.«
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Egal von welchem Fleck
Jugendliteratur◦𝗬𝗼𝘂𝗻𝗴 𝗔𝗱𝘂𝗹𝘁◦ Unerwünscht. Einsam. Abgewiesen. Das ist die 17-jährige Mo gewohnt. ›Raus‹ ist eins der geläufigsten Worte in ihrem unsteten Leben. Stück für Stück bröckelt es - in ihr, um sie herum. Alles. Wechsel und Wandel begleiten sie...