Ich? Warum ich? Wie oft habe ich mich das schon gefragt ... Es ist nicht so, dass ich anderen Schlimmes gönne. Nur dass ich mir auch mal was anderes wünsche ... Ist das verkehrt? Ich weiß, es ist, wie es ist, aber dennoch möchte ich nicht so viel Leid aushalten und ertragen müssen – auch wenn ich das sooo gut kann, angeblich. Vor mir ragt eine Tür auf. Ich will da nicht durch. Es ist eh immer das Gleiche – vielleicht eine andere Farbe, aber dennoch ists das Gleiche. Aber ich muss, soll und ›darf‹ ... Darf – bei diesem Wort kommt mir mittlerweile alles Mögliche an Emotionen hoch, nur nicht Freude. Kotzen, Heulen, Wutausbruch und vieles mehr. Denn wenn es nach mir ginge, würde ich nicht dadurch gehen ... Aber ich ›muss‹ ... Gleichzeitig weiß ich, dass es ein Privileg ist, was aber nicht bedeutet, dass es mir dort gut gehen wird.
Nach mehrmaligem Blinzeln – musste mich mein Hirn ausgerechnet jetzt ausknocken? – klart sich meine Sicht. Ich spüre die heißen Tränen pochen, die ich krampfhaft unterdrücke.
Ein breitgebauter Mann, der scheinbar neben einem Mitarbeiter des Discounters steht, rückt in mein Sichtfeld. Was habe ich denn bloß angestellt? Verschreckt starre ich die beiden Männer an. Warum soll ich warten? Und wie bitte, was? Hat er mich eben wirklich Fräulein genannt?
Wenn ich mich gerade nicht in dieser absurden Situation befinden würde, würde ich wahrscheinlich ähnlich skurril ablachen wie Balou bei ihrem Lachflash. Denk an etwas anderes, sonst fängst du wirklich noch an. Und das würde sich sicherlich nicht zu deinen Gunsten auswirken. Dass ich jedoch überhaupt an sie denke, ist gleichermaßen merkwürdig ...
Sagen sie jetzt auch noch etwas? Ich checke nichts mehr. Muss ich die Hände hochnehmen? In einer Hand ist die Packung mit meinen drei Laugenstangen. Das Grummeln, die Dumpfheit in meinem Magen ... Kann ich wenigstens einmal abbeißen?
Ich versuche sie auffordernd anzustarren. Selbstverständlich nicht aggro oder so, sondern damit sie mit mir sprechen. Jetzt beginnen sie jedoch untereinander zu quatschen. Bin ich jetzt in irgendeiner Freakshow?
Mit den Augen schiele ich hin und her. Zwischen Laugengebäck und den Männern. Ich würde so gerne ... Wäre das schlimm? Ich weiß nicht, was sie von mir wollen und ob es richtig wäre ...
Fu... Shit! Ein ganz schrecklicher Gedanke kommt mir ... Was ist, wenn ... Nein oder? Die Polizei wird doch nicht ... Oder doch? Das wäre mir neu, habe ich noch nie gehört, aber vielleicht ... Vermisstenmeldungen werden doch nicht schon an Supermärkte weitergeleitet?! Hah, klar, und bald hängen die hier aus wie diese Gesuche. Komm mal wieder runter. Aber was dann?
Oh Gott! Ernsthaft? Als hätte meine heutige Aufgabe – dazu vielleicht auch meine Gedanken – meine sämtliche Energie und dazu wohl jegliche Hirnkapazitäten benötigt, die sich gerade erst wieder sammeln, lichtet sich der Nebel.
Diebstahl? Ist es das? Aber wie kommen sie darauf? Ich habe doch nur ein paar Produkte miteinander verglichen. Okay, ich habe sie immer wieder aus dem Regal genommen, weil ich mich zunächst nicht entscheiden konnte. Aber echt? Das soll es sein?
Der Nicht-Mitarbeiter wendet sich vom Mitarbeiter ab – die Tuschelei scheint vorbei zu sein – und kommt auf mich zu. Gehen die eigentlich immer davon aus, dass sie rumbrüllen können und die Leute dann seelenruhig auf sie warten, als hätten sie nichts besseres zu tun? Ist das nicht merkwürdig? Bisher haben sie mir nichts vorgeworfen. Was wäre passiert, wenn ich einfach gegangen wäre?
»Mach bitte deinen Rucksack auf und zeig den Inhalt«, befiehlt er, als er bei mir ankommt.
»Aber wieso?«, frage ich entsetzt nach.
»Weil ich es sage.«
»Können Sie mir bitte den Grund erklären? Ich glaube nicht, dass ich jedem einfach den Inhalt meines Rucksacks zeigen muss.« Woher ich diese meine Coolness wieder habe? Keine Ahnung. Ich bin jedoch froh drum.
»Du wurdest im Laden gesehen und es wird davon ausgegangen, dass du etwas gestohlen hast. Deswegen. Hier, schau mal«, klärt er mich auf und zeigt dann seinen Ausweis, den er zwar an seinem Hosenbund befestigt hat, aber – und dadurch war er nicht sichtbar – in der Tasche verstaut lag. Sicherheitsdienst.
Ich deute zur Ablagefläche ein paar Schritte von uns entfernt, die sich an der Fensterfront gegenüber der Kassen befindet. Da er nickt, deute ich das als ein Ja und gehe dorthin.
»Ich habe nichts geklaut. Ich kann Ihnen die Quittung zeigen für das hier«, erzähle ich, während ich als erstes meinen Seesack abstelle und dann an meiner Tüte rüttle.
Mit einer Handbewegung verdeutlicht er mir, dass ich machen soll. Ich hole meinen Rucksack vom Rücken und öffne den. Da ist kaum etwas drin. Nach einem schnellen Blick sieht er das wohl ebenso ein.
»Nun den«, meint er und zeigt auf meinen Seesack.
»Oookay, kann aber etwas dauern, da ist echt viel drin«, erwidere ich verunsichert, »aber nichts von hier natürlich.« Und ich hoffe auch nichts, was einmal von hier war. Könnte ich dafür belangt werden, falls sich da drin etwas befindet, was ich vielleicht irgendwann einmal in diesem Laden oder einem anderen dieser Kette gekauft habe? Das wärs ja noch ...
Eine Reisetasche wäre in diesem Fall nützlicher. Die kann meistens von oben einmal quer geöffnet werden, aber der Seesack nicht. Da kann ich nur von oben den Blick hineingewähren.
»Das reicht nicht aus«, lautet sein Urteil, was ich mir schon gedacht habe.
Also krame ich eins nach dem anderen heraus, was mir mit jedem Augenblick unangenehmer wird. Hosen, Kuscheltier, Unterwäsche, zum Glück ein abgenutzter Block, lose Stifte, einzelne Tampons, Geldscheine – bei denen ich trotz der ganzen Aktion vor Freude fast heulen hätte können – und so weiter. Und um mich herum die vielen Schaulustigen, deren Augenpaare auf mich gerichtet sind.
»Stopp«, sagt er endlich. »Okay, es reicht.« Erleichtert atme ich aus. Die Umstehenden können dann endlich abziehen. Ich bin doch keine Darstellerin, und wenn, dann sollen sie bitte bezahlen.
Kein Wort der Entschuldigung kommt von dem Sicherheitsdienst-Typen. Das lernen sie vielleicht nicht im Job. Der Mitarbeiter, dem der Sicherheitstyp vorhin wahrscheinlich mitteilte, was er meinte, beobachtet zu haben, schaut jedoch entschuldigend zu mir. Immerhin. Beim Abgang des Sicherheitsdienst-Typens klopft er gegen etwas Metallisches, womit er mich erschreckt. »Hier, das solltest du in Zukunft jedoch beachten.« Augenzwinkernd verschwindet er aus meinem Sichtfeld.
›Keine großen Rucksäcke mit in den Laden nehmen.‹ Ja, danke. Und wohin mit dem Kackzeugs dann? Hier gibt es keine Schließfächer. Idiot!
Als ich alles wieder eingepackt habe, stampfe ich raus. Wut und Scham vermischen sich zu Frust. Was für eine Kacke! Okay, ich hätte jemanden im Laden Bescheid geben können. Dennoch, gleich alle über einen Kamm zu scheren, muss auch nicht sein. Innerlich bin ich gerade viel zu sehr in Aufruhr, um nun etwas zu essen. Na toll, jetzt hat er mir auch das noch versaut.
Da es schon Nachmittag ist, schlendere ich zum Hafen. Zu der gleichen Stelle wie gestern. Die Bewegung zieht mir den Schreck aus den Knochen. Mein Körper beruhigt sich etwas, mein Inneres zieht nach. Als ich am Hafen ankomme, stelle ich zu meiner Freude fest, dass die Stelle abseits liegt.
Ich greife nun doch zu einer der Laugenstangen und setze mich hin. Mit dem Blick in die Ferne lasse ich mich weit hinaus tragen ... In Gedanken schweife ich in Träumereien ab.
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Egal von welchem Fleck
Подростковая литература◦𝗬𝗼𝘂𝗻𝗴 𝗔𝗱𝘂𝗹𝘁◦ Unerwünscht. Einsam. Abgewiesen. Das ist die 17-jährige Mo gewohnt. ›Raus‹ ist eins der geläufigsten Worte in ihrem unsteten Leben. Stück für Stück bröckelt es - in ihr, um sie herum. Alles. Wechsel und Wandel begleiten sie...