27 | Hormone

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Eine feststehende Choreo ist gar nicht so einfach. Klar, die Schrittfolge an sich kann ich mir merken, dennoch ... Es ist noch mal ganz anders. Dazu gehört so viel mehr. Es soll ja synchron sein und gut harmonieren. Nicht nur ich mit mir als Einheit wirken. Ich bin nun nicht mehr allein, was auf eine schräge Weise gut ist – ist es das?

»Und ... Eins, zwei, drei und vier«, zählt Balou von Neuem an.

Adrenalin rauscht durch mich hindurch. Schweiß sprießt aus meinen Poren. Ich will es richtig machen.

Es ist kein Abtauchen, sich unterschummeln. Eher ein sich einfügen in das Gesamtbild. Das kann ganz schön hart sein. Genauso aber auch die Bewegungen anzupassen. Eine Einheit bilden – so was habe ich noch nie gemacht. Das ist eine krasse Umstellung für mich.

»Gut, das war schon besser«, lässt sie mich wissen. »Okay, dann noch ...« Balou unterbricht sich und dreht sich zu mir um. »Oder wollen wir es einmal komplett versuchen?«

»Klar, warum nicht?«, antworte ich schulterzuckend und versuche, gelassen zu wirken. Hoffentlich kommt es halbwegs so rüber.

Sie klatscht strahlend in die Hände, schnappt sich die Fernbedienung und spielt die Mucke von vorne ab. Dachte ich. Doch sie lässt etwas anderes laufen.

Niemand beginnt zu tanzen, sondern starren in den Spiegel zu Balou und können sich kaum das Lachen verkneifen. Auch ich, obwohl ich noch etwas verkrampft bin.

»Was ist? Habt ihr echt alle euren Einsatz verpasst?«, belustigt sie sich nun. »Okay, dann eben nicht zu Balus Song,« amüsiert sie sich weiter. »Aufgepasst, nun aber.« Und mit einem Klick ertönt der richtige Song.

Mechanisch beginne ich mich zu bewegen. Von den kleinen bunten Knallern, die meinen Körper über den ganzen Tag zugeschüttet haben, merke ich kaum noch etwas. Entweder sie sind völlig ausgespült worden – kam eine Welle und ich habe es nicht mal mitbekommen? – oder ich wurde überschwemmt. Da stellt sich mir jedoch die gleiche Frage. Endorphine in dieser Menge hatte ich ... vielleicht noch nie. Das Vortanzen, das ganze Lob, unser gemeinsames Essen – diese gesamte Gruppe macht mich hibbelig und kribbelig – vielleicht auch auf eine gute Art.

Doch da sind noch so viele andere Dinge ... Das Thema Schule – die erste Ernüchterung. Mich einfügen in eine Gruppe, kann ich das? Der zweite Dämpfer. Die Zweifel schleichen sich genauso leise an, wie sich die tollen pushenden Endorphine rein und rausgeschlängelt haben.

»Ey, das war wirklich gut«, möchte mich Bene aufmuntern und schlingt seinen Arm kumpelhaft seitlich um meine Schulter. Vermutlich merkt er es mir an. Dass ich innerlich an mir herum nage ...

Vielleicht braucht es auch einfach nur ein wenig Zeit, bis sich so etwas einstellt?! Vielleicht kann ich ja wirklich ein Teil einer solchen Gruppe werden? »Danke dir, Bene.«

»Er hat recht«, pflichtet ihm Flynn bei und legt seinen Arm von der anderen Seite um mich, sodass nun einer rechts, der andere links von mir steht. Und das Häufchen – ich – mittendrin.

Ich halte Ausschau nach Gabe, finde ihn aber nicht. Dafür kann ich Dilara erkennen, die gerade auf uns zukommt. »Jetzt guck doch nicht so, das sagen die nicht einfach nur, um nett zu sein.« Ich frage mich schon, wo sie sich nun dazwischen quetschen will und ob sich auch noch jemand anderes einreihen will, aber sie bleibt vor mir stehen. Dankbar dafür lächle ich sie an. Es ist nämlich jetzt schon viel zu nah.

»Und übrigens, der Song!«, fängt Bene an.

»Der Song eignet sich prima«, greift Dilara auf.

»Genau für so was, wie du beschrieben hast«, beendet Flynn ihre Sätze.

Es ist, als würden sie sich so gut kennen, dass sie das gleiche denken. Echt beneidenswert. Mein Hirn jedoch versucht, noch herauszufinden, was sie meinen könnten.

»Balus Song müssen wir in unser Repertoire aufnehmen.« Gemeinsam drehen wir uns zur Sprechenden um. Zu Balou. »Dann haben wir auch ein Lied als Crew mit Mo.«

»Ja, das wäre echt super. Vor allem kommt das sicher auch cool als Nummer«, freut sich Dilara und strahlt dabei, als würde sie sich gerade das Publikum vorstellen, das total von den Socken ist.

»Der Beat sollte etwas schneller getunt werden, vielleicht können wir es etwas mixen, was eigenes daraus machen?«, überlegt Flynn.

»Ich habe mich sogar schon mal daran gemacht, den Song – nur ein wenig – umzuschreiben und klar, das sehe ich auch. Der Beat muss hochgezogen werden. An einigen Stellen könnten wir es aber für Freezes vielleicht auch so lassen«, gebe ich meine unbedeutende Meinung dazu und frage mich gleichzeitig, wie es mir passieren konnte, dass ich das gerade überhaupt erzählt habe.

»Echt, du hast schon Ideen dazu?«, fragt Dilara begeistert nach. »Lass hören!«

»Ja, lasst uns doch zusammen hinchillen und ein wenig daran rumbasteln und dabei unser neues Crewmitglied feiern«, schlägt Balou vor.

»Nein«, ertönt hinter Flynn, Bene und mir Gabes Stimme unmissverständlich. In Balous Augen sehe ich ein nicht sehr freudiges – was sicherlich selten ist – Funkeln. »Nicht jetzt«, setzt er nach und kommt scheinbar auf uns zu. Zumindest lassen es die herannahenden Schritte vermuten. »Mo, wir wollten hier nach noch weiterquatschen«, erfindet er einfach diese Lüge. Sein Ton sowie seine Mimik verraten das allerdings nicht.

Ja, was soll ich dazu sagen? Ob seine Hormone heute auch so durchgedreht sind wie meine?

Egal von welchem FleckWo Geschichten leben. Entdecke jetzt