Ein Stimmengewirr hinter mir lässt mich zusammen zucken. Orientierungslos taste ich mit den Händen sofort die Umgebung ab. Rücklings liege ich auf Stein, nein, vielmehr auf Beton. Noch müde öffne ich meine Augen und sehe den blauen Himmel mit weißen Streifen über mir. Ein paar Vögel kreisen darin herum.
Am Hafen bin ich, stimmt ja. Prompt ertönt passend dazu ein Dampfer. Ich habe es ja gecheckt, wo ich bin. Grummelnd und kopfschüttelnd setze ich mich auf und blicke hinter mich. Unmittelbar zieht ein Schmerz durch meine Halswirbel. Das hätte ich wohl lieber lassen sollen.
Ich reibe über meinen Nacken, während ich nach den Stimmen beziehungsweise nach den Leuten, von denen sie verursacht werden, Ausschau halte. Da ich keine Menschenseele erkennen kann, gehe ich davon aus, dass sie von dem Pfad, auf dem ich gestern auch gelaufen bin, kommen. Obwohl der Weg erhöhter liegt, ist er zum Glück nicht zu erkennen und ich ebenso wenig für sie. Hoffe ich zumindest.
Die Sonne steht noch tief, nehme ich jedenfalls an, sie zeichnet sich lediglich hinter einigen Wolken ab. Dazu ist es zwar nicht kalt, aber eine typische morgendliche Frische ist noch zu spüren. Es scheint wohl noch sehr früh zu sein.
Gähnend gleitet mein Blick von dem versteckten Weg oberhalb der Hafenpromenade an mir herunter, wobei der Schmerz nochmals durch meinen Nacken zieht. Den Seesack habe ich wohl als Kissen benutzt. Das erklärt meine Verspannung zusätzlich.
Ich hopse von dem Betonplateau, strecke mich und drehe mich dabei um meine eigene Achse. Es ist alles noch da. Auch meine Hip Bag sowie mein Rucksack. Hier unten ist außer mir sonst kein anderer. Und ich habe hier echt geschlafen. Darauf muss ich erst mal klar kommen. Auf das alles irgendwie.
Ich lasse mich wieder auf den Hintern plumpsen und stöhne angestrengt aus. Immerhin ist zur Zeit kein Winter, das wäre definitiv noch anspruchsvoller. Meine Augen verweilen auf meinen Händen, die in meinem Schoß liegen. Zeitgleich wie ich meine Hände zu meinen Seiten platziere, um mich abzustützen, strecke ich meine Beine nach vorne aus und führe meine Fußspitzen zusammen. Dabei nehmen meine Augen etwas anderes wahr.
Das Wasser. Es liegt eher ruhig da, als würde es sich nicht darum scheren, dass bereits der Tag begonnen hat; als hätte es seine eigene Zeiten; als würde es vielleicht auf etwas warten. Nur zwischendurch wird es sachte angestoßen, sodass leichte Linien sich hindurch stoben. So wie das Meer warte auch ich auf ein Signal. Um loszugehen. Auf ein Zeichen.
Um aufzubrechen.
Ungeduldig schließe ich die Augen, drücke meinen Rücken durch und versuche darauf zu achten. Auf irgendetwas. Ich lausche, während meine Hände nach wie vor flach neben mir liegen. Auf dem rauen Untergrund.
Es kommt nichts. Nichts dringt zu mir durch.
Meine Körperspannung lässt heute zu Wünschen übrig. Obwohl ich es ernsthaft versuche. Krampfhaft. Allein meine Hände bleiben nicht in ihrer Haltung. Feuchtigkeit sammelt sich zwischen dem Beton und meinen Handinnenflächen. Immer wieder presse ich sie dagegen. Das Geräusch dabei ist nicht minder angenehm als die kleinen Erhebungen, die sich immer wieder aufs Neue in meine Haut hineindrücken. Mein Fokus ist schon längst nicht mehr auf der Umwelt, wenn der denn überhaupt dort weilte. Vielmehr nehme ich diese eine kleine Stelle wahr. Es pikst, es wird zunehmend unerträglicher. Es scheint sich ein Stein an meiner Hand zu erfreuen.
Verflucht.
Ruckartig reiße ich sowohl meine Augen auf als auch meine Hände hoch. Es ratscht ein wenig, doch das ist mir egal. Ganz anderes belastet mich. Aber meine Gedanken sind viel zu lose, als das ich sie wirklich greifen kann. Als würden sie irgendwo in der Luft wie bei einem Trapezseilkünstler hängen, der kurz vorm Absturz ist und sich neu orientieren muss, aber nicht weiß, wie. Keine Ahnung, ob das einen Sinn ergibt.
Von diesem kleinen Ding lasse ich mich aufhalten? Ernsthaft?, frage ich mich, als ich mir dieses Teil an meiner Hand anschaue. Ich rubbele das Steinchen weg, was nicht mal ein Geräusch beim Aufkommen auf den Boden macht und sehe ihm hinterher. Es ist so mickrig und doch hat es einen riesigen Einfluss auf mich. Mit beiden Händen reibe ich mir übers Gesicht und lasse sie dort einfach verweilen. Ich bin mickrig, habe aber gefühlt auf nichts einen Einfluss ...
Lauter werdende Stimmen dringen zu mir durch. Sie nähern sich von links. Zwischen meinen Fingern schiele ich hindurch und sehe, wie zwei Menschen von dort herankommen. Sie beachten mich gar nicht, während sie miteinander fröhlich quatschen. An ihnen vorbeischauend sehe ich, wie ihnen mit gewissen Abstand weitere folgen. Leicht in die andere Richtung gedreht kann ich auch da einige Menschen erkennen. Der Tag ist nun für viele angebrochen.
Etwas zusammengesackter richte ich meinen Blick wieder nach vorne. Selbst das Meer scheint erwacht zu sein. Die bewegenden Linien formen sich zu weiter ausufernden Kreisschwingungen. Diesen weiter hinaus auf dem Meer folgend, erkenne ich die Auslöser. Ein paar Boote sind ausgelaufen. Es wird gearbeitet, die Leute sind fleißig, es gibt ein reges Schaffen. Von allen Seiten wird es mir präsentiert. Nur für mich gibt es keine Aufgabe.
Bevor die werten Herrschaften mir noch zu nah kommen, schultere ich mir lieber schnell meinen Rucksack, hänge mir den Seesack um und mach mich von dannen. Jetzt ist wohl wirklich die Zeit gekommen, um weiterzuziehen.
Die Ruhe ist vorüber.
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Egal von welchem Fleck
Novela Juvenil◦𝗬𝗼𝘂𝗻𝗴 𝗔𝗱𝘂𝗹𝘁◦ Unerwünscht. Einsam. Abgewiesen. Das ist die 17-jährige Mo gewohnt. ›Raus‹ ist eins der geläufigsten Worte in ihrem unsteten Leben. Stück für Stück bröckelt es - in ihr, um sie herum. Alles. Wechsel und Wandel begleiten sie...