52 | Fleck

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Vor mir die majestätische Pforte, vor der ich mich die ganze Zeit gefürchtet habe. Jene, die zum Kinder- und Jugendnotdienst führt. Kein Charme like highty tighty schwappt zu mir herüber ...

Und ich bin gar nicht mehr so cool. Nicht äußerlich, nicht innerlich. Zumindest nicht die hippe Art von cool. Eisig ja, aber eben nicht cool.

Gib dir einen Ruck, Mo. Tritt hinein. Geh über die Schwelle.

Sicher, dass ich das will? Da kann alles Mögliche auf mich lauern. Dort drin versammeln sich auf einem Fleck all die, vor denen ich weggelaufen bin. Symbolisch betrachtet.

Aber ich habe einen Deal abgeschlossen, ermahne ich mich. Wie konnte ich nur so einen bescheuerten Deal eingehen?

Mit Gabe alias Baggy alias Idiot, aber ebenso alias große Unterstützung. Wie hat er mich nur dazu bekommen können? Wieso habe ich zugestimmt?

Irgendwo tief in mir drin ist mir bewusst, dass ich diesen Deal nicht nur mit ihm, sondern auch mit dem break'n'hut – vor allem aber mit mir selbst geschlossen habe. Nur irgendwie will oder kann ich es gerade nicht sehen. Meine Beine sind starr – nicht nur die. Mein gesamter Körper ist ein einziger Brocken, der steif ist. Nicht fähig, sich vom Fleck wegzubewegen. Mist.

Ich komme nicht vor, nicht zurück. Was mache ich denn jetzt?

Warum? Die einzelnen Buchstaben des Frageworts schieben sich vor meinen Augen wie ein Banner und bleiben als zusammenhängendes Wort stehen. Warum? Es folgen weitere Buchstaben.

Warum bist du hier?

Das ist eine gute Frage. Ich weiß es. Eigentlich. Doch gerade fühlt sich mein Kopf wie leer gefegt an.

»Ich glaube dir, dass du deine Wünsche da oben abgespeichert hast, aber nimm es vorsichtshalber mit. Wenn ich nervös bin, brauche ich selbst für die logischsten Dinge meine Gedankenstütze.« Das hat Balou mir heute früh gesagt.

Mein Notizblock. Ich setze meinen Rucksack ab und hole ihn hervor.

Egal von welchem Fleck. Es sprudelt immer in meinen Kopf, wenn ich ihn in die Hand nehme. Doch heute ist es weniger negativ belastet, als er es sonst war. Es sollte mir egal sein, von welchem Fleck ich komme.

Ich ziehe an der Kordel, die ich nun bei dem Neugeschriebenen platziert habe. Mir eröffnen sich meine Antworten auf die Frage Warum.

Okay. Ja, okay. Ich klappe den Notizblock zu, dann verschließe ich meinen Rucksack wieder, setze ihn mir auf, behalte den Notizblock aber in meinen Händen. Ich betrachte erneut die Hausfassade vor mir. Majestätisch – geht so, es wirkte eher nur so. Wegen der Macht, die ich ihr gegeben habe. Doch auch ich habe Macht. Und Mitspracherecht, was mein Fleckchen auf dieser Welt angeht.

Ich nicke dem Eingang und auch mir zu. Du schaffst das, Mo. Du bist stark und du bist so weit. Korrektur: Ich schaffe das, ich bin stark und ich bin so weit.

Ich steige die zwei Stufen zum Eingang hoch und drücke auf die Klingel. Durch die Glasscheibe erkenne ich zwei Mitarbeitende. Eine Frau und einen Mann. Sie sagt noch etwas zu ihm – es sieht nach einem freundlichen, kollegialen Gespräch aus –, dann kommt sie auf die Tür zu. Als sie die Tür einen Spalt öffnet, begrüßt sie mich direkt.

»Hallo«, sagt sie freundlich. »Hier ist der Kinder- und Jugendnotdienst. Möchtest du zu uns?«

Ich nicke ihr zu, woraufhin sie die Tür ganz öffnet.

»Möchtest du etwas trinken?«, fragt sie weiter und zeigt dabei auf eine kleine Auswahl. Wasser – still oder medium – und Orangensaft.

Ich zeige auf O-Saft, den habe ich seit Ewigkeiten nicht mehr getrunken. Während sie in zwei Gläser Trinken einschenkt, schaue ich mich um und lasse die Eindrücke auf mich wirken. Genauso lasse ich es sacken, dass ich mich tatsächlich hierrein getraut habe. Ich habe den Anfang gemacht. Ein kleines Lächeln huscht mir über die Lippen. Der andere Mitarbeite deutet es als ›Hallo‹ in seine Richtung, woraufhin er mich begrüßt. Er sitzt an einer Art Tresen, hier in dieser Art Eingangsbereich, der aber auch gleichzeitig nach Aufenthaltsbereich ausschaut. Es gibt hier auch Sofas und einen Fernseher. Ein gemixter Ort.

»Wir können da durchgehen, da sind wir ungestört. Okay?«, spricht mich die Mitarbeiterin an. Ein nettes, ehrliches Lächeln ziert ihr Gesicht. Sie zeigt dabei auf einen Gang links neben dem Tresen. Wahrscheinlich geht es dort zu einem Beratungsraum.

»Okay«, antworte ich ihr lächelnd und kann es plötzlich kaum noch abwarten, bis ich ihr erzähle, warum ich hier bin und was ich will. Mein Geborgenheitsfleckchen.

Ich streife mit meinem Finger über den Notizblock, den ich in meinen Händen halte. Ich bin es wert und habe es verdient, egal von welchem Fleck ich komme.

Egal von welchem FleckWo Geschichten leben. Entdecke jetzt