Epilog

24 7 21
                                        

Wunderschön.

Von meinem Erkerfenster – gemütlich auf vielen Kissen sitzend, ein Bein ausgestreckt, das andere angewinkelt – aus kann ich dem Treiben der kunterbunten Blätter im seichten Wind zuschauen. Wie sie herumgeweht werden. Herbstferien. Freitag war unser letzter Schultag. Meine ersten Ferien in dieser Stadt, die so schnell zu meiner Heimat geworden ist. Mit Menschen, die ich nicht mehr missen und Momente, die ich für immer bewahren möchte.

Es ist ein herrlicher Montag, der eine neue Woche einläutet. Alles ist möglich. Unwillkürlich schaue ich mich um. Wie das hier. Zara, die Mitarbeiterin des Kinder- und Jugendnotdienstes, hat mich verstanden.

Mein Handy leuchtet auf. ›Freu mich auf später‹, schreibt Balou in den Gruppenchat.

›Und ich mich erst!‹, antwortet Gabe – natürlich als Baggy abgespeichert. Seine Nachricht lässt mein Herz etwas flattern. Das zwischen uns ... scheint für die anderen klar zu sein, was es ist. Wir werden sehen, sagen wir beide – wir fühlen uns wohl miteinander.

Ich sehe, wie Di-Lara – unter diesem Namen befindet sich ihre Nummer in meinem Handy – gerade tippt. ›Leute! Ihr macht mich wahnsinnig mit euren ganzen Nachrichten!‹ Deswegen schreibe ich erst gar nicht, denke ich mir lachend.

›Warum schreibst du dann?‹, schreibt Flynn – meine Gedanken – in den Chat. Dazu reagiert er mit einem Lachemoji bei ihrer Nachricht.

Bene ist cool, auf besondere Weise. Ohne auf das andere einzugehen, schreibt er: ›15:00 Uhr im Garten von Balous Eltern, richtig?‹

Es ploppen vier Daumen hoch Emojis bei seiner Nachricht auf. Okay, ich mache mit. Nun sind es fünf. Kurz darauf verringert sich die Zahl wieder auf vier, Flynn hat sich umentschieden. Für das Herz-Ausrufezeichen als Emoji. Wir grübeln alle schon seit geraumer Zeit, ob sich die beiden ›endlich‹ angenähert haben. Wir würden uns alle für sie freuen, lassen ihnen aber ihre Zeit.

Mit einem Grinsen stehe ich auf und begebe mich zu meinem Schrank in meiner Wohnung. Auch wenn es mir manchmal noch wie ein Traum vorkommt: Ich habe es geschafft. Trägereigener Wohnraum wird es genannt. Ich nenne es meine eigene Wohnung über die Jugendhilfe. Dass ich weiterhin eine Betreuung habe, finde ich sogar gut. Jemanden zum Ansprechen zu haben, ist ja auch ein kleiner Luxus. Gefühlt begegnen wir uns in den Gesprächen auf Augenhöhe. Frau Halles nimmt mich ernst. Und ihren Namen finde ich mega. Nimm den ersten Buchstaben weg und du hast ein essenzielles Wort meines neuen Leitspruches. Egal von welchem Fleck – alles ist möglich.

Vieles hat sich gewandelt. Von ›Ich kenne es nicht anders‹ zu ›Was soll ich woanders?!‹. Ebenso mein Blickwinkel auf mich selbst. Vielleicht sind wir ja alle eine Bruchbude. Im positiven. Wer hat denn nicht irgendwann mal irgendeine Art von Bruch erleben müssen? Doch in uns drin sollte auch der Ort sein, der uns Schutz und Halt gibt. Das habe ich begriffen. Ich bin für mich und mein Leben verantwortlich. Mit allem drum und dran. Zumindest jetzt. Damals war damals. Heute ist heute.

Um mich nun endlich mal umzuziehen, will ich mein Handy weglegen. Daher schließe zunächst den Gruppenchat, dann erblicken meine Augen andere Nachrichten. Von Dana und mir. Dana – von ihr habe ich einige Nachrichten in meiner Off-Zeit bekommen – schrieb ich nach einer gewissen Zeit, dass es mir leidtut, dass sie sich Sorgen gemacht hat. Ich habe mich ihr so weit erklärt, wie ich innerlich konnte. Momentan halten wir losen Kontakt, mit dem wir beide zufrieden sind.

Auch wenn ich nicht noch einmal all das erleben möchte, was ich durch habe, kann ich auf eine crazy Art froh darüber sein. Wahrscheinlich wäre ich sonst nie in dieser Stadt gelandet. Nie an diesem magischen Hafen, nie beim break'n'hut, hätte diese schrägen Vögel – meine Freunde – nicht kennengelernt, wäre kein Teil einer grandiosen abgefahrenen Tanzgruppe, wäre niemals diesen Deal eingegangen und dürfte so vieles nicht erleben.

Wie heute Abend das Zelten mit meinen Freunden in Marks und Annes Schrebergarten, wobei sie uns auch noch versorgen. Hallo?! Wer kann da schon nein sagen? Ich freue mich schon auf sie alle. Der Tanz allein durch das Leben ist vorbei.

Familie. Ein mächtiges Wort. Es steckt so viel dahinter, kann jedoch genauso viel bedeuten und sich auf vielfältige Weise offenbaren.

Wahre Magie gibt es doch und ich habe sie gefunden. Ich bin genau am richtigen Fleck.

Egal von welchem FleckWo Geschichten leben. Entdecke jetzt