18 | Freaks

27 6 7
                                    

Kalt zu heiß. Heiß zu kalt. Ein Spiel der wechselnden Temperaturen beginnt mit seiner Aussage, doch es kennt nur die Extremzustände. Ob er es mir ansehen kann; meine Hautfarbe sich auch in Sekundenschnelle anpasst?

»Hilft dir das Tanzen?«, frage ich, um davon abzulenken. Ich habe keine Ahnung, ob er mir damit entweder eine Art von Kompliment machen wollte oder genau das Gegenteil. Darin bin ich überhaupt nicht gut. Außerdem bin ich mir nicht mal sicher, ob ich der Aussage zustimme. Meine Gedanken sind dazu sehr gegensätzlich.

»Ein klares Ja«, lautet seine Antwort.

»Wie habt ihr euch zusammen gefunden? Gab es eure Gruppe schon vorher?«

»Du kennst so was sicherlich. Nicht mit jedem, den du magst; dich gut verstehst, kannst du auch gut zusammentanzen. Dazu braucht es mehr.«

»Vertrauen«, sage ich. Obwohl er unrecht hat. Ich kenne es nicht. Ich habe noch nie eine solche tolle Gruppe gehabt, wie sie es sind. Immer nur davon geträumt oder es mir in meinen Gedanken ausgemalt.

»Genau«, stimmt er mir zu. »Und natürlich muss es auch einfach passen. Du musst die Macken der anderen Freaks ertragen können, genauso wie die Eigenschaften, die du an ihnen liebst.«

»Kann ich mir vorstellen, ja ...«, murmele ich vor mich hin. Damit falle ich schon mal raus. Ich werde wohl immer eine Einzelgängerin bleiben.

»Also wir sind alle schon vorher hier im Jugendtreff ein- und ausgegangen. Wir kannten uns, hingen aber nicht immer miteinander ab. Auch jetzt teilen wir nicht jede freie Minute, was ich völlig okay finde. Was uns aber wichtig ist, ist, dass wir gegenseitig ehrlich sind und uns mitteilen, wenn uns etwas belastet. Denn na ja, wie du gesagt hast, es geht um Vertrauen. Richtig als Tanzgruppe trainieren wir seit einem Jahr. Balou und ich haben schon vorher mit dem Gedanken gespielt und gemeinsam getanzt, immer mal wieder mit anderen. Der Name kommt von mir. Aber – auch wenn sie es nicht wahrhaben will – mit ihrer Hilfe. Der Jugendtreff heißt eigentlich nur Jugendtreff Mitte«, erklärt er lachend. »Aber seit dem es uns – break'n'hut – gibt und wir hier die Räume nutzen können, wird auch der Treff so genannt.«

»Das ist wirklich echt cool«, schwärme ich. »Wie kommt es eigentlich, dass ihr hier überhaupt proben dürft und sogar einen Schlüssel habt?«

»Balou, sie ist unsere Mama, für Orga und Spaß zuständig. Sie ist bereits neunzehn und dadurch, dass sie am Wochenende hier im Jugendtreff als Aushilfe arbeitet, hat sie einen Schlüssel.«

»Gute Connection also.«

»Ja, aber das ist alles abgesegnet und geklärt«, versichert er mir.

»Ah ja, dann glaube ich dir mal, Mister Baggy«, erwidere ich grinsend, womit ich ihm etwas offenbare.

»Ich bin also Baggy?«, fragt er nach. Laut nach Luft schnappend sieht er mich empört an. Bin ich zu weit gegangen? Aber dann lässt er seinen Atem entweichen und fängt zu lachen an. Boah.

»Ja, wer denn sonst?« Ich drehe mich zu allen Seiten um. »Oder siehst du hier etwa noch jemanden?«

»Alles klar. Dann muss ich mir wohl auch noch etwas für dich einfallen lassen.«

»Bloß nicht. Ich hasse so etwas«, entgegne ich sofort. Vielleicht etwas zu schnell. Fragend schaut er mich an. Ich habe es befürchtet.

»Wie sieht es bei dir aus?«

»Was meinst du?«, frage ich nach, schon wieder irritiert durch seinen Umschwung und Themenwechsel.

»Hilft dir das Tanzen?«

»Ich denke mal, es gibt bei fast allen einen Grund, warum sie damit angefangen haben. Und ich meine jetzt nicht diejenigen, die so typisch in einer Tanzschule damit begonnen haben«, spreche ich meine Gedanken laut aus. »Obwohl auch von ihnen sicherlich einige«, revidiere ich meine Aussage ein kleines bisschen.

»War das jetzt eine Antwort auf meine Frage?«

Ich dachte schon, doch ich pfeffere ihm etwas anderes zurück: »Kannst du nur Gegenfragen stellen, wenn du etwas erfahren möchtest?«, wobei ich mir natürlich bewusst darüber bin, dass dies ebenfalls eine Gegenfrage ist. Aber Mensch, es nervt.

»Siehst du, da hast du definitiv eine Macke von mir gefunden.«

»Danach brauchte ich nicht wirklich zu suchen.«

Kaum hatte ich den Satz beendet, wofür ich mich schäme, auch wenn er ehrlich ist, prustet er auch schon los. »Also der war gut.«

Oookay, wenn er meint, es ging ja um ihn. Freak. In den letzten zwei Tagen habe ich ständig das Gefühl, von Freaks umgeben oder in einer Freakshow zu sein. Merkwürdig kurios, seltsam komisch und kribbelig freaky. Da, sie haben mich schon angesteckt.

»Also?«, hakt er nach.

»Also?«, wiederhole ich. Wahrscheinlich habe ich mal wieder den Faden verloren. Die Nacht ist – zu meiner Entschuldigung – jedoch geprägt von wenig Schlaf, intensiven und tiefergehenden Inhalten. Viel mehr als ich jemals für möglich hielt mit Baggy. Dabei fällt mir auf, dass die Nacht gar nicht mehr existiert, sie so gut wie vorbei ist. Es dämmert wohl schon seit einiger Zeit, der Tag bricht bald über uns ein.

»Das Tanzen und du?«, weist er mir den Weg zurück zu unserem Gespräch. Alright.

»So viel gibt es da eigentlich gar nicht zu erzählen.«

»Ach quatsch.«

»Woher willst du das wissen?« O je. Mo geht wieder auf Angriff. Mo spürt es. Vor allem denkt Mo wieder in der dritten Person von sich.

»Weil ich dich dabei gesehen habe.«

»Pah«, rufe ich aus. »Komm schon. Das war einmal und dann auch nur kurz zum Spaß. Und wenn schon«, tue ich es ab. Er soll sich mal nicht lächerlich machen. »Was sagt dir das?«

»Dass du mit Leidenschaft dabei bist und es dir viel gibt.«

Natürlich muss er voll ins Schwarze treffen, der Idiot. Ich bleibe still, stumm, starre vor mich hin. Jedes Wort wäre zu viel. Er weiß schon längst zu viel. Wie konnte ich so nachlässig werden? Nicht gut. Eher ganz übel.

»Jeder hat eine eigene Geschichte. Was ist deine?«, fragt er mich.

Dachte ich eben noch eher ganz übel? Das war wohl zu tief gegriffen ... 

Egal von welchem FleckWo Geschichten leben. Entdecke jetzt