41 | Note

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»Ja, na und?« Dilara erhebt sich aus ihrer halbliegenden Position, um sich aufrechter hinzusetzen und dazu ihre Arme, um sie ausschweifend über den Boden gleiten zu lassen. »Ich arbeite hier doch aber nicht ...« Ratter, ratter. Wir können es, glaube ich, alle erkennen. »Oh.« Sie guckt nun wie ein aufgescheuchtes Rehkitz zu Balou.

»Mmmhm. Richtig.« Balou schaut nun zu mir. »Ich arbeite hier zwar nur als Aushilfe und bin keine Sozialarbeiterin, aber irgendwie ... Hast du dir schon festgesteckt, bis wann du dich bei dem ASD melden willst?«

»Beim was?«, tönt Dilara erneut dazwischen.

»Allgemeiner Sozialdienst«, kläre ich sie auf. »Das Jugendamt.« Es wird aber eigentlich nicht mehr so genannt. »Bis spätestens zum Ende der Ferien«, sage ich an Balou gerichtet, wobei ich das Wort ›spätestens‹ besonders betone. Da bekommt der Deal ja noch einmal eine ganz andere Note.

Sie legt eine Denkpause ein, ruckt dann ihren Kopf zurück zu mir und fragt: »Wie sagt Baluuu doch noch gleich?«

»So einiges«, erwidere ich lachend und überrumpelt zugleich von ihrer Aussage. Die Augenbrauen hochziehend wartet sie jedoch auf mehr von mir.

Come on, Moe. Einfach machen, nicht viel drüber nachdenken. »Probier's mal mit Gemütlichkeit, mit Ruhe und Gemütlichkeit ...«, beginne ich zu singen und die anderen reiße ich anscheinend trotz meiner grausigen Töne mit, denn sie steigen mit ein: »Jagst du den Alltag und die Sorgen weg. Und wenn du ... stets gemütlich bist und etwas appetitlich ist, dann nimm es dir egal von welchem Fleck.«

»Können wir jetzt endlich unser neuestes Mitglied feiern?«, fragt Bene, der sich bis zum Singen eher rausgehalten hat. Er ist wahrlich der Ruhige.

»Was haltet ihr von einem spontanen Auftritt morgen?«, fragt Balou.

»Au ja!«, ruft Bene sofort begeistert aus.

»Und wo, wann, wie?«, fragt Flynn nicht weniger freudig nach.

»Gleiche Stelle wie immer – also mal abgesehen von hier. Okay?«

»Dann müssten wir aber heute noch trainieren. Morgen ist der Saal besetzt«, ergänzt Gabe und grinst mir dabei zu. Ja klar, das gilt vor allem mir. Ich bin diejenige, die am wenigsten von den Choreos drauf hat. Logischerweise.

»Also alle dafür?«

Eine eher einstimmige Note – es klingt nach einem mmmhmm – sorgt dafür, dass wir uns dem Aufwärmen widmen. Danach – die Muskeln sind gelockert – warten wir auf den Sound, um zu beginnen. Es geht zunächst an die Choreo, die ich schon kennenlernen durfte. Damit ich immerhin eine komplette mittanzen kann. Wenn die Zeit es zulässt, wollen sie mir später oder morgen früh noch zwei, drei einzelne Parts von anderen Choreos zeigen, bei denen ich dann wenigstens mit einsteigen kann. Es ist ein straffes Training, aber es tut mir unglaublich gut.

Mittags läutet Balou die Pause ein. Sie gehen, ein paar Schritte folge ich, doch dann bleibe ich stehen.

»Was ist los?«, fragt mich Bene, der als Letzter aus dem Saal rausgegangen ist und es wohl mitbekommen hat, dass ich ihnen nicht folge.

»Ich habe keinen Schülerausweis oder Ferienpass«, lasse ich ihn wissen.

»Ah«, macht er. Sie haben sicher nicht daran gedacht, »du könntest das Essen auch bezahlen?«, fragt er vorsichtig nach.

»Wie teuer wäre das?« Es ist mir unglaublich peinlich. Ich habe noch etwas Geld, aber ... Es ist alles, was ich habe.

»Ich weiß es nicht.«

»Schon okay. Ich warte einfach hier.«

»Sicher? Du kannst dich auch dazu setzen–«

»Sicher. Bene, wirklich. Weißt du was? Ich gehe für mich noch einmal die Choreo durch. Ich will euch ja nicht blamieren morgen«, versuche ich ihm ein besseres Gefühl zu geben.

»Uns«, meint er.

»Hm?«

»Du meinst uns. Uns willst du nicht blamieren. Du gehörst jetzt dazu, Mo.«

Lächelnd geht er den anderen hinterher, lächelnd schaue ich ihm nach. Uns. Drei winzige Buchstaben mit ganz viel Macht. Die leichte bittere Geschmacksnote können sie nicht vertreiben, aber ein wenig blasser wirken lassen. Uns. Es gibt ein uns, von dem ich ein Teil bin.

Ich gehe tatsächlich die Choreoschritte durch. Sowohl mental als auch physisch. Ich habe sie drauf. Denke ich. Hoffe ich. Bete ich.

»Nicht schlecht!«

»Nicht schlecht?« Er schafft es, meinen Ansporn anzutreiben. So sehr er mich damit nervt, so gut ist es irgendwie auch. Gabe alias Baggy.

»Was würdest du sagen?«, gibt er an mich zurück. Ja, was auch sonst?!

»Dass ich phänomenal tanze!«

»Das steht nicht zur Debatte«, antwortet er. Damit bringt er mich zum Nachdenken.

»Du hast recht, es gibt zwei Stellen, an denen ich den Flow nicht zu einhundert Prozent raushabe. Vielleicht, wenn ich–«

»Stopp, Mo«, unterbricht er meinen aufkeimenden Gedankenstrudel voll mit ... Allerlei. »Darauf wollte ich eigentlich hinaus. Du willst es zu sehr. Das habe ich vorhin schon gemerkt. Du meinst diese Stelle hier oder?«

Gabe legt seine Bauchtasche ab, wobei sein Shirt etwas hochrutscht und sein Bauch etwas frei wird. Nice. Äh. Fuck. Äh. Ablenken, Mo. Bsssbss ... Auf der Mauer auf der Lauer sitzt ne kleine Wanze. Seht euch mal die Wanze an, wie die Wanze tanzen kann. Auf der Mauer auf der Lauer sitzt–

»Die meinst du doch oder?«

Shit. Er hat mich unterbrochen. Was denkst du jetzt schon wieder?! Du hast nicht aufgepasst. »Ähm. Ja, na sicher.«

»Wirklich?«

»Ehrlich gesagt, nein.«

Er schmunzelt wie so ein bekloppter Typ und ich versinke gleich vor Scham. Kann es bitte noch peinlicher werden?

»Hey Mo, hab Essen für dich mitgebracht. Bene meinte, du willst noch die Choreo durchgehen und dann dachte ich, ich bring dir was mit. Alles cool hier? Wartet ... Flynn hatte doch recht, was?«

Jap, es kann definitiv noch peinlicher werden. Möchte noch jemand wie Dilara dazustoßen und einen meiner peinlichsten Momente untermalen? Jetzt wäre ein prima Zeitpunkt.

Dankbar – und beschämt – nehme ich das Essen von ihr an und setze mich an die Theke im Saal. Sie meint es nur gut, sie weiß es nicht, trage ich mir selbst vor. Heute schmecke ich kaum etwas, doch die Geruchsnote ist dafür intensiver. Sie treibt mich fast zur Verzweiflung. Es sind nur die Zwiebeln ... Sie sind zu gut zu mir. Zu gut für mich.

»Ich würde dir gleich gerne etwas unter vier Augen sagen«, spricht Balou mich an. Pling, pling – meine Alarmglocken springen an; schrillen.

Egal von welchem FleckWo Geschichten leben. Entdecke jetzt