Inmitten der vielen Menschen, die sich hier bereits wieder tummeln, um ihre Schritte zu gehen, bleiben wir stehen. Einige weichen uns mit Sicherheit verärgert aus, andere hingegen schmunzeln eventuell. Wer weiß?! Wir stehen uns nun gegenüber, grinsen uns an und haben beide unsere Augenbrauen angehoben.
Mit einem Schritt kommt er auf mich zu. »Also wirklich–«
»Immer diese Gegenfragen«, beende ich seinen Satz lachend.
»Du sagst es.«
»Und?«, hake ich nach.
»Das Ende?« Ich nicke auf seine Nachfrage hin. »Es ist gerade Halbzeit.«
»Also noch ungefähr drei Wochen?«, schlussfolgere ich daraus. Demnach noch Zeit, kein Druck, kein Stress. Ich muss nichts überstürzen.
»Mmhm.« Er sieht mich bedächtig an. »Deal or no deal?«
»Ich sage ...«
»Ja?«
»War das jetzt ein Tipp?«
»Mo?«
»Baggy?«
»Spann mich nicht auf die Folter.« Nun hebt er den Zeigefinger, mit dem er gespielt ›du du du‹ machen will.
»Okay. Gut. Ja.« Meine Anspannung fällt ab. »Ja. Ich sage Ja. Ja. Ja.« Dabei – was mir vorher gar nicht klar gewesen ist – fallen lautlos zentnerschwere Brocken von mir ab. Es fühlt sich gut an. Es ist richtig. Ja. Verdammt noch mal Ja.
Gabe schien es geahnt – wenn nicht gehofft – zu haben, denn er lächelt mir zu. »Wollen wir?« Er hält mir seinen Arm als Einladung zum Einhaken hin.
»Ja.« Ich kann gar nicht mehr aufhören, Ja zu denken. Ich werde wahrscheinlich wirklich irre. »Warte mal«, meine ich, als ich mich gerade in seinen Arm eingehakt habe. »Was wäre eigentlich gewesen, wenn ich Nein geantwortet hätte?«, will ich nun aber wissen.
»Dann hätte ich dich nicht in break'n'hut aufnehmen können.«
»Wieso?«
»Wie soll ich mir sicher sein, dass du hierbleibst?« Verschmitzt sieht er zu mir. Das war also sein eigentlicher Plan. Aha. »Ich bin froh, dass du dich dafür entschieden hast.« Ich auch. Ja, ich auch.
»Danke noch mal.«
»Null Problemo.«
Lächelnd setze ich meinen Fuß wieder in die Richtung, gehe den ersten Schritt und er folgt mir. Auf geht es zum break'n'hut. Wow, ich gehöre dazu. Ja. Ich gehöre zu etwas dazu. Vollkommen irre. Völlig absurd. Und genauso ... toll.
Da wir den restlichen Weg schweigen, was ich nicht schlimm finde, bekommen meine Gedanken jedoch wieder mehr Raum. Sie schwirren insbesondere zu der restlichen Truppe. Was sage ich ihnen? Es geht immerhin um Vertrauen, um eine Gemeinschaft, um so viel. Und bei mir sogar darum, dass ich gerade gewissermaßen auf der Flucht bin. Soll ich sie wirklich damit reinziehen? Ich will sie nicht belügen, aber bin ich bereit, ihnen gegenüber ebenso alles zu offenbaren?
Mein Lächeln wandelt sich. Vermutlich in ein sorgenvolles Grimassen-Etwas. Dilara, Flynn, Bene und Balou. Sie haben mich bestärkt. Verdient haben sie das nicht. Mich.
Sind das diese berühmt-berüchtigen kalten Füße? Auch wenn sich meine überhaupt nicht kalt anfühlen? Vielleicht ist es eine besondere Form von Kälte, die ich so nicht erspüren kann, sondern nur, wenn ich sie anfasse? Oder es ist mal wieder eine Redewendung, dessen Sinn sich aus irgendetwas anderem heraus entwickelt hat. Aber ist es das? Wie bei Leuten, die heiraten wollen, aber noch am Tag ihrer Hochzeit – am besten einen Schritt von dem Altar entfernt – einen Rückzieher machen? Gibt es so was überhaupt außerhalb von Filmen und Geschichten? Na ja, bei mir könnte es der Fall sein. Auch wenn es ein vollkommen anderes Setting ist. Keine Kirche und kein Standesamt, keine Familien, keine Torten, kein Festsaal – oh doch, einen Saal gibt es ... Mo, jetzt bleib mal bei der Sache! Hibbelig fummele ich mit meinen Händen an dem Riemen meiner Hip Bag rum. Müssten nicht eigentlich die anderen die kalten Füße bei mir bekommen und nicht ich bei ihnen? Weil ich nicht gut für sie bin, nicht die Richtige. Bekomme ich vielleicht zu warme Füße?
Auf dem Pfad mit der Mauer realisiere ich, wie nah wir dem break'n'hut schon sind. Meine Füße legen einen Stopp ein.
»Mo?« Gabes Stimme dringt zu mir durch. Und dann merke ich ebenso, dass er gar nicht mehr direkt neben mir ist; mein Arm seinen wahrscheinlich schon länger verlassen hat. »Alles okay?«
»Ich kann nicht«, bringe ich hervor. »Das ... Nein. Ich kann nicht.«
»Was meinst du?« Meine Sicht ist unscharf – wie wenn man zu lange auf einen Fleck gestarrt hat. Doch ich höre seine Schritte von vorne heraneilen. »Wegen unseres Deals?«
Verwirrt schaue ich ihn an. »Nein«, entgegne ich klar. Das nun wirklich nicht. »Wegen euch, ihnen.«
»Was meinst du?«, hakt er nach.
»Ich ziehe euch alle runter, in mein Dunkles«, ich schüttle mit dem Kopf, »das kann ich nicht zulassen.« Ich mache einen Schritt zurück.
»Ich glaube, das können wir jeder selbst entscheiden. Meinst du nicht auch?« Er folgt mir diesen Schritt, tätigt diesen aber etwas kürzer als ich.
»Aber sie wissen es nicht.« Ich klinge verzweifelt, weil ich nicht weiß, was ich tun soll.
»Dann erzählst du es ihnen?«, sagt er fragend.
»Und was?«
»Nur so viel, wie du kannst«, spricht er beruhigend und überbrückt die letzte kleine Distanz. »Nur so viel, wie du kannst«, wiederholt er.
Ich lehne mich an seinen Oberkörper heran; lausche seinem Körper. Als er seine Arme ausbreitet, bemerke ich erst, dass ich nicht auf seine Einladung gewartet habe. Ich war grenzüberschreitend, daher will ich zurückzucken, doch er bedeutet mir mit einem leichten Drücken auf dem Rücken, dass es in Ordnung ist. Ich bleibe. Bei ihm im Arm.
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Egal von welchem Fleck
Dla nastolatków◦𝗬𝗼𝘂𝗻𝗴 𝗔𝗱𝘂𝗹𝘁◦ Unerwünscht. Einsam. Abgewiesen. Das ist die 17-jährige Mo gewohnt. ›Raus‹ ist eins der geläufigsten Worte in ihrem unsteten Leben. Stück für Stück bröckelt es - in ihr, um sie herum. Alles. Wechsel und Wandel begleiten sie...