45 | Mut

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»Und was habt ihr heute so vor?«, fragt Anne während des gemütlichen Frühstückens.

»Wir haben heute zu Ehren von Mo einen Auftritt geplant«, antwortet Balou ihrer Ma.

»Wie schön, also bist du nun auch ein Teil von der Gruppe break'n'hut?«, fragt Mark – sein Name, er ist mir wieder eingefallen – mit Neugierde im Blick und bereits einer vertrauten Stimme – ist das möglich?

I don't know, auch egal. Mein Kopf springt sowieso von allein noch einmal zurück zu den Namen. Anne und Mark, die ein Kind namens Balou haben. Warum denke ich immer über so etwas– Die Antwort kennst du, stoppt mich meine innere Stimme. Vielleicht frage ich Balou dennoch irgendwann einmal danach. Aber eigentlich ist auch das egal, so schön wie der Name Balou ist.

Ich setze meine Tasse ab. »Ich denke«, gebe ich unsicher zurück.

»Aber natürlich«, sagt sie an mich gewandt. »Ein richtiges Talent ist sie«, prahlt Balou stolz, was mich auflachen lässt.

»Übertreib bitte nicht«, flüstere ich ihr zu. Ihre Eltern müssen daraufhin grinsen.

»Jetzt steh doch mal dazu. Das bist du.« Sie blickt wieder zu ihren Eltern. »Mo könnte vielleicht noch eine Portion Mut gebrauchen.«

»Du könntest ihr ja was von dir abgeben«, amüsiert sich ihre Mutter.

Ist nur mir das unangenehm? Und wenn nicht, wie schafft es Balou, so cool zu bleiben?

»Na, dann wünschen wir euch heute viel Spaß.« Mark schaut zu seiner Frau, die dem zunickt, und dann blickt er wieder zu uns. Wohlwollend, ermutigend und bestärkend.

Entspannt frühstücken wir zu Ende, um uns daraufhin für den späteren Auftritt zurechtzumachen. Dann brechen Balou und ich mit dem Proviant ihrer Eltern, den sie extra für uns zusammengestellt haben, auf.

Auf einem mir völlig unbekannten Weg führt mich Balou entlang, nur um auf einen Platz anzukommen, den ich definitiv schon kenne. Es ist der Hauptplatz dieser City, an den wir gelangen. What? Hier? Ist das deren Ernst? Das kann doch nicht wahr sein.

In diesem Augenblick lässt noch nichts darauf schließen, dass wir hier gleich eine coole Show abliefern werden. Menschen wühlen sich an anderen vorbei, versuchen so schnell wie möglich die ersten zu sein, als wäre es ein Wettrennen, bei dem keiner weder die wirklichen Spielregeln noch das Ziel kennt. Hauptsache schneller, weiter – egal wohin. Bizarr.

Wie sollen wir es hinbekommen, dass die breite – beinahe quadratische – kopfsteingepflasterte Fläche des Marktplatzes uns überlassen wird? Zumindest ein Anteil davon. Den, den wir benötigen. What the hell? Wie bewerkstelligen die das sonst? Und wo bleiben eigentlich die anderen?

Ich beschließe – untypischerweise – es auf mich zukommen zu lassen. Sie werden schon wissen, was sie tun. Selbst Balous Eltern haben ja keine Zweifel und wissen anscheinend, was Balou so treibt. Entweder sie sind so cool drauf und haben keine Probleme damit, wenn Balou sich in Schwierigkeiten bringt oder sie vertrauen ihr damit, dass sie alles vernünftig handhabt. Die kleinen Momente mit ihren Eltern beflügeln mich erneut. Doch mit den Flügelschlägen der Schmetterlinge wird auch anderes hinaufbefördert. Ich blinzele mehrmals. Das darf jetzt wirklich nicht passieren! Daher kämpfe ich dagegen an, damit keine einzige Träne ihren Weg hinausfindet.

»Hey!«, schreit Balou neben mir, wodurch ich mich zunächst ertappt fühle und herumwirbele.

Doch dann sehe ich, dass sie den anderen – wie sie eben ist – mit ihrem breiten Grinsen völlig übertrieben zuwinkt. Ich stelle mich wieder dichter zu ihr und warte, bis die Truppe zu uns herangetrottet kommt. Jeder hat etwas anderes im Gepäck. Jetzt verstehe ich auch, warum wir so viel an Proviant dabei haben. Wir sind die Versorgenden der Truppe. Flynn und Bene scheinen alles für die Musik dabei zu haben. Gabe trägt in seinen Händen etwas Undefinierbares – ich bin gespannt – und Dilara ... ein breites Lächeln. Okay, vielleicht auch nur fast jeder. Sie stellen ihr Zeugs ab und wir begrüßen uns alle, als hätten wir uns Ewigkeiten nicht gesehen.

Flynn dreht sich zu Balou und hält sie an beiden Armen. Sie geben wirklich beide ihr Bestes in Theatralik. »Sag mir. Hat dein Vater«, er nimmt eine Hand von ihrem Arm, um sich genüsslich über seinen Bauch zu reiben, »wieder diesen geilen Eiersalat auf das Sandwich drauf gepackt?«

Ich muss lachen. Er ist wirklich ein Spinner. Ein liebenswürdiger. Aber ein Spinner.

Er schaut mich an. »Mo, wenn du den einmal gegessen hast, boah, ich schwöre, der ist so hammermäßig«, schwärmt er.

»Tja, Flynn. Ich kam heute schon in den Genuss.«

»Wie, wo, was ... Wann?« Er tut so, als würde er sich an sein Herz greifen und verzieht passend dazu sein Gesicht schmerzvoll, was auch Balou dazu bringt, gackern zu müssen.

Bene packt ganz sachte von hinten an Flynns Schulter. »Wollen wir?« Dadurch lassen wir Flynn lediglich mit einem Schulterzucken und einer entschuldigenden Geste stehen. Ob da mehr zwischen den beiden ist? Oder von einem der beiden zumindest?

»Aber, aber ... Du hast noch gar nicht gesagt, ob du ...« Mehr verstehe ich nicht mehr von Flynn, da ich zu Gabe rübergehe, der mich zu sich winkt und etwas abseits steht.

»Wie geht es dir heute?«, fragt mich Gabe.

»Eigentlich ganz gut und dir?«

»Auch«, antwortet er lächelnd. »Hilfst du mir?«

»Klar. Wobei?«

Kurz drehe ich mich um und sehe, wie die anderen sich um die Musik kümmern. Gabe zeigt auf sein Mitbringsel. Wir tragen es ein paar Meter weiter. Am richtigen Fleck holt er dann die Teile heraus und ich frage mich noch immer, wofür sie sind.

»Es sind Markierungen«, klärt er mich auf.

Es rattert in meinem Hirn. Markierungen. Ah! »Für unser Tanzfeld?«

»Ganz genau.«

Daraufhin stecken wir unseren Floor ab. Das allein bewirkt schon, dass wir die benötigte Fläche für uns erhalten. Natürlich trampeln die ersten zunächst noch unachtsam dadurch, aber nach und nach kapieren es die Leute und machen einen Bogen drumherum. Da viele Menschen folgsame Geschöpfe sind und sich in ihrem routinierten Marktspaziergang nicht von Gedanken aufhalten lassen, folgen sie dem vorgehenden Strudel.

»Halten hier viele an?«, frage ich frei raus, als wir fertig sind und während ich mich erneut umschaue. Keine Straße, aber viele Menschen. Ringsherum Cafés, die wohl gerade Hochbetrieb haben. Es ist ja auch Sommer, dazu Ferien, mittlerweile später Mittag. Was ist, wenn ich uns blamiere?

»Du meinst, wenn wir loslegen?« Gabe mustert mich.

»Ja.«

»Schon.«

Ich habe es befürchtet. Ich spüre jeden einzelnen Schweißtropfen. Die nicht durch das Sommerwetter produziert werden. Na ja, eigentlich ist es ja gut, eigentlich gewollt. Aber jetzt gerade ... Ich weiß nicht.

»Aber das ist doch gut, Mo«, sagt er, weil ich nichts mehr von mir gebe.

»Klar.«

»Du bekommst Lampenfieber, richtig?«

»Vielleicht.« Oder mehr als das.

»Das brauchst du nicht. Du bist echt verdammt gut. Du hast es drauf«, versucht er mich zu bestärken. »Nur Mut.«

»Danke. Ja, wird schon.«

»Hey ihr beiden!« Es ist Balous Stimme und wir müssen beide grinsen. »Kommt mal rüber. Di gibt euch eure Shirts.«

Aha. Zwei Erkenntnisse. Heute wird Dilara Di genannt und auch sie hat etwas dabei. Ein Shirt. Es ist nun also offiziell. Ich gehöre dazu. »Na kommt schon. Wir beginnen gleich!«

Nur Mut, Mo. Du schaffst das.

Egal von welchem FleckWo Geschichten leben. Entdecke jetzt