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Noch einmal balle ich meine rechte Hand zur Faust – nicht zu stramm, aber fest – und drücke sie auf halber Körperhöhe hoch und runter, um mich zu bekräftigen.

Und ganz egal, was passiert, ich habe noch eine Option. Ich darf zu dieser wundervollen Familie zurückkehren. Mit einem Lächeln überquere ich die Straße. Das Wohnhaus mit deren Wohnung im Rücken.

Ich greife mit meinen Händen in die Rucksackriemen, kralle sie fest und visiere meinen Weg an. Nicht nur den unter meinen Füßen, sondern auch meinen. Meinen persönlichen Weg. Mit meinen Wünschen. Mit dem, was ich will.

Ich werde mich davon nicht abbringen lassen, immerhin wurde ich schon mein Leben lang von A nach B geschickt. Eigentlich eher bis nach Z, um dann wieder zu M in die Mitte zurückzugelangen, eher zu müssen. Um dort wieder irgendwo anzufangen. Ganz egal, was sie von mir wollten, ich habe es versucht.

Ich biege in die Straße ein, die mich parallel zur Marktstraße führt. Ich möchte nicht aufgegriffen werden, ich möchte selbst dort ankommen. Von mir aus.

Hatte ich je eine Wahl? Ich stoppe auf dem Gehweg. Trotz meiner Cappy blenden mich die Sonnenstrahlen, die gerade durch die Wolken hervorbrechen. Dadurch wende ich meinen Blick kurz ab. Nach rechts. Dort befindet sich ein leer stehender Laden. Die Scheibe spiegelt ein wenig, obwohl sie dreckig und ein wenig gesplittert ist. Ich betrachte mich in der Bruchbude. Prompt sehe ich mich in dem Glas schmunzeln. Gabe und seine Worte ...

Vielleicht, ist die Antwort. Mir wurden Fragen gestellt, wohin ich gerne wollte, was ich möchte. Aber konnte ich sie ernsthaft beantworten und begreifen? Deren Ausmaß verstehen? Damals, als ich noch gefragt wurde, war ich zu klein. Später wurden vermutlich die Optionen geringer. Es ist mir zu müßig, jemandem die Schuld zu geben, darüber nachzudenken, warum etwas so gelaufen ist. Nein, ich möchte es jetzt anders machen. Und sie sollen mich ebenso verstehen.

Ich reiße den Blick von meinem Ebenbild ab und weiß selbst nicht, ob ich damit mein Spiegelbild oder die Bruchbude meine. Meine Füße setzen sich wieder in Bewegung.

Von hier nach da. Von oben nach unten. Von ich weiß nicht überall bis nach sonst wo. Irgendwann reicht es.

Nun gehe ich von Balou zum Kinder- und Jugendnotdienst und ich werde mich nicht abspeisen lassen. Dabei ist mir natürlich bewusst, dass ich eventuell nicht alles haben kann, aber ... ich bin bald volljährig und ich muss mir nicht mehr alles bieten lassen. Vor allem nicht bei meinem Stand. Ich weiß, was ich kann, wie viel ich mir zumuten kann. Von wo ich komme und wohin ich möchte. Zumindest was das angeht.

Ich werde noch etwa zehn Minuten brauchen, bis ich da bin. Ein Kribbeln beginnt sich auszubreiten. An meinen Fingerkuppen, die die Riemen nach wie vor umschlingen, spüre ich das Prickeln. Als wäre ich elektrisch aufgeladen – doch ich weiß es besser –, werden die kleinen Impulse von dort in meinen gesamten Körper gejagt und die dadurch ausgelösten Wellen kommen zurückgeschnellt. Aber mit was für einer Wucht. In meinem Magen rumort – klingt jedoch eher nach einem Donnerwetter, welches sehr, sehr, sehr nah ist – es. Hunger ist es auf keinen Fall. Dank Marks Frühstücksservice. Inklusive Eiersalat. Sofort muss ich an Flynn denken. Und wieder schleicht sich ein Grinsen auf mein Gesicht. Von Nervosität bis Freude scheint alles dabei zu sein. Die Gefühle rumoren ebenso wie mein Magen und eifern um die Vorherrschaft.

Als ich an die nächste Kreuzung gelange, schaue ich mich um. Die letzte Strecke bin ich wie auf Autopilot herumgelaufen und habe nichts von der Umwelt wahrgenommen. Mist. Das sagt mir hier irgendwie nichts.

Mein Handy befindet sich weiterhin im Träumeland. Wer weiß – vielleicht hat es auch schon Moon-Man kennenlernen dürfen?! Mensch Mo, echt jetzt? Okay ... Konzentration! Balous Eltern haben mir deswegen die Strecke ausgedruckt. Ich hole sie mir aus der Hinterntasche meiner Shorts und falte sie auf. Ursprünglich dachte ich ja, ich schaffe es in die City auch ohne Plan. Ja, falsch gedacht. Ich studiere die Kreuzung mit den Straßennamen und vergleiche sie mit der ausgedruckten Route, auf der ich mit dem Finger entlang fahre. Ein paar der Straßen entdecke ich entlang der markierten Linie nicht. Prima! Dann fällt es mir auf. Ich bin zu weit gelaufen. Zum Glück nur eine Straße.

Da ich das nicht so gut auf dem Papier erkennen kann, ob ich auch diese Straße hochlaufen kann, um dort parallel zurückzugehen, und ich gerade keine Lust auf Impro habe, kehre ich wieder um. »Nächste Straße links abbiegen bitte«, sage ich mir selbst wie diese nervigen Navistimmen zu. Und dann kann ich von dort aus der geplanten Route folgen. Den Plan behalte ich mal lieber weiterhin in der Hand, falls das noch einmal passiert. Aber ich sollte gleich da sein.

»Jetzt links abbiegen.«

Egal von welchem FleckWo Geschichten leben. Entdecke jetzt