23 | Kribbeln

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Mein stechendes Grün trifft auf sein dunkles Blau. Die Sekunden verstreichen und doch fühlt es sich nach einem ›Die Zeit bleibt still stehen‹ Moment an.

Aus meiner gebeugten Haltung hole ich mich selbst heraus, lehne mich nun eher vor und stiere ihn beinahe an. Kampfeslustig. Oh ja, ich will es ihm beweisen. Und ich will, dass er es auch will – also mir diese Möglichkeit dazu einräumt.

Wir beide halten stand. Ich tauche in seine Augen ein. Immer weiter entschwinde ich darin. Das Funkeln in seinen Augen verändert sich, das Blitzen darin löst sich auf, das Blau schimmert mir nun eher entgegen.

»Na dann«, meint er, während er den Blickkontakt genauso fokussiert aufrechterhält. »Lass uns reingehen.«

»Okay.«

»Okay.«

Schmunzelnd springe ich von der Rampe herunter, gehe vor, ohne mich nach ihm umzublicken. Doch kurz nach mir höre ich ihn ebenso auf dem Boden ankommen und seine Schritte hinter mir auf dem Weg knirschen. Hintereinander betreten wir das Gebäude, ich atme tief ein, meine Haltung wahre ich mir. Aufrecht und mit erhobenem Haupt betrete ich den Saal.

Ich schaffe das. Chaka!

Die anderen lächeln mir zu, als ich hineinkomme, wodurch sie mir ein bestärkendes Gefühl mitgeben. Ihnen ist bestimmt gar nicht bewusst, wie viel es mir wirklich bedeutet. Auch wenn ich es niemals offen zugeben würde.

Ich bleibe mittig stehen, Baggy geht an mir vorbei, auf die anderen zu. Meine Zuschauenden. Mein Publikum. Krass. Nun ist es so weit. Nervosität umzingelt mich. Ein Kribbeln breitet sich von den Fingerkuppen aus – über den gesamten Körper, schleichend und langsam. Erst ganz zäh über die Arme, über die Schultern, den Rücken hinab, dann nimmt es an Fahrt auf und fließt beinahe bis zu den Füßen, um daraufhin wieder hinauf zu wandern. Es ist eklig und aufpushend zugleich.

Die Gruppe setzt sich zusammen auf den Boden. Baggy nickt mir zu, die anderen lächeln mich weiterhin an. Als Letztes gucke ich zu Balou. Ihr Blick strahlt eine Menge aus: Wärme, Gelassenheit, Stärke. Dann hebt sie leicht die Fernbedienung an – die ich als diejenige für die Musikanlage erkenne – und nickt mir fragend zu. Ich bestätige, schließe meine Augen, atme nochmals tief durch und schüttle meine Arme und Beine aus. Jetzt also wirklich.

Kurz darauf setzt ein Song ein. Einer, in den ich mich eingrooven kann, einer, der einen guten und erkennbaren Beat hat. Einer, auf den ich kann. Ich fühle die Musik, spüre in mich hinein und lasse mir Zeit. Und dann lasse ich ebenso los. Vielmehr passiert es einfach; ich lasse es geschehen.

Dieses Mal ist es nicht wie am Hafen; nicht lediglich in meinen Gedanken. Nein, ich tue es. Ich fühle es. Es ist dieses Kribbeln – immer noch und doch anders. Eher dem ähnlich, was ich schon einmal mit Balou erleben durfte. Freude? Leidenschaft? Doch auch das scheint gerade alles unwichtig. Die aufgepushten Insekten in mir geben mir Auftrieb. Alles andere wird ausgeblendet, ist unwichtig. Nur ich und meine Bewegungen zählen ... Es ist wundervoll und fantastisch. Ich gebe mich dem hin.

Eine wilde, befreiende Mischung aus Tanzelementen – ich werde mit meinen Bewegungen eins zu der Musik.

Als die letzten Töne erklingen, springe ich mit zu den Seiten gespreizten Beinen in die Luft, winkle sie daraufhin im Sprung nach hinten an, wobei ich meine Knöchel mit meinen Händen umfasse und strecke meinen Rücken durch. Von da aus lasse ich mich in eine coole Pose auf den Boden fallen, als würde ich eine sogenannte Superheldenlandung machen. Genau auf dem letzten Ton recke ich meine Hände in die Luft, dabei schließe ich meine Augen und genieße diesen Moment.

Die Musik verstummt. Dadurch höre ich meinen Atem sowie mein Herz wild klopfen. Ich warte ab.

»Das war mega!« und »Hammer mega!« sind die ersten Worte, die zu mir durchdringen und mich breiter lächeln lassen. Ich löse mich aus meiner Haltung, indem ich meine Arme nach unten gleiten lasse, und schaue zu ihnen.

Ist es wirklich wahr? Da sind lauter begeisterte Gesichter! Berauscht erhebe ich mich und bevor ich überhaupt zu ihnen gehen kann, kommen sie schon auf mich zu, umarmen mich, sie scheinen geflasht zu sein. Dabei sind sie doch die wahren Schaffenden.

»Das war wirklich abgefahren und richtig mega cool!«, sagt Dilara beziehungsweise Di oder Lara. Und die anderen nicken ihr überschwänglich bestätigend zu.

»Also bist du mit dabei? Ist sie doch, oder? So jemanden können wir gebrauchen«, stößt Flynn vor und schaut in die Runde.

Das überfordert mich direkt wieder aufs Neue. »Danke«, bringe ich daher erst einmal nur zu dem ganzen Lob heraus. »Gerade von euch, ihr seid ja so talentiert. Also echt. Danke«, füge ich noch hastig an.

»Tja Leute, wie ich meinte. Das Talent steht ja mal außer Frage«, meint Balou. »Und deine Power und Kreativität ist wirklich großartig. Eigentlich eher beneidenswert«, fügt sie lachend an. »Also Gabe?«, wendet sie sich an ihn. »Wir warten auf deine Meinung und denk dran, gleich gibt es Essen.«

Alle Augenpaare richten sich auf ihn. Mit Ausnahme von mir. Ich starre sie an, weil sie solche tollen Worte für mich gefunden hat und ihm diese Pistole auf die Brust setzt.

Doch auch kurz darauf folge ich ihrem Blick, sehe in den anderen einen ähnlichen Ausdruck wie den, den ich vorhin noch hatte, als ich Gabe erwartungsvoll und kämpferisch angeschaut habe.

Als ich mich zu Gabe drehe, sehe ich – oh Wunder – erneut sein Pokerface. Darin ist er wirklich gut. Ich weiß nicht, was er sagen wird. Oder denkt er an das Essen? Nein oder?

In meinem Schädel ploppen davon ungeachtet manche seiner Fragen auf: Bin ich bereit? Sehe ich in mir mehr als eine bloße Bruchbude?

Egal von welchem FleckWo Geschichten leben. Entdecke jetzt